In einem aktuellen sozialgerichtlichen Eilverfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg konnte die Fortzahlung von Krankengeld erreicht werden. Die Krankenkasse wurde einstweilig verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Krankengeld fortzuzahlen.
Bezieher von Krankengeld werden häufig rechtswidrig aus dem Krankengeldbezug abgedrängt. Was Sie in einem solchen Fall tun sollten, können Sie in diesem Artikel nachlesen.
Neben der Erhebung eines Widerspruchs kommt ggf. auch die Einleitung eines sozialgerichtlichen Eilverfahrens in Betracht. In einem aktuellen Fall konnte Rechtsanwalt Köper die vorläufige Fortzahlung des Krankengeldes erreichen.
Das Sozialgericht Lüneburg entschied wie folgt (anonymisiert, gekürzt):
Die Antragsgegnerin wird einstweilig verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 21. November 2011 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen, solange die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zahlung von Krankengeld. Der Antragsteller hat eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und Diplombetriebswirt absolviert und ist seit fast 20 Jahren als Assistent der Geschäftsleitung bei einem Kurierdienst beschäftigt. Am ...2011 erlitt der Antragsteller eine Hirnstammischämie und wurde anschließend bis zum ... stationär behandelt. In der Zeit vom ... 2011 bis ... 2011 befand sich der Antragsteller zur Anschlussheilbehandlung in der ... In der sozialmedizinischen Epikrise des Entlassungsberichts wird ausgeführt, dass der Antragsteller infolge seiner noch vorhandenen Defizite, insbesondere der noch verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit und den noch leicht ausgeprägten hirnorganischen Teilleistungsstörungen während des stationären Aufenthaltes und zum Entlassungszeitpunkt arbeitsunfähig sei. Eine erneute Überprüfung der Arbeitsfähigkeit erscheine zum jetzigen Zeitpunkt nach einer häuslichen Zwischenstrecke von zwei bis drei Wochen gegeben. Ab dem ...2011 erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin Krankengeld in Höhe von 63,02 € täglich. Die behandelnde Neurologin bescheinigte dem Antragsteller weiterhin Arbeitsunfähigkeit. Ab dem ... 2011 führte sie statt der bisherigen Diagnosen ICD 64.6 und 10.90 G (Zerebrovaskulärer Insult und Essentielle Hypertonie) die Diagnosen I 67.88 (sonstige näher bezeichnete zerebrovaskuläre Krankheit) und F 32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet) auf. In einem Bericht für den MDK teilte sie mit, dass bei dem Antragsteller eine mittelschwere depressive Episode vorliege. Am ... 2011 wurde der Antragsteller durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie des MDK Niedersachsen ... begutachtet. Dieser vertrat in seiner gutachterlichen Stellungnahme die Auffassung, dass nach den vorliegenden medizinischen Berichten, den anamnestischen Angaben des Antragstellers und dem aktuelle pathologischen Befund die weitere Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr begründet sei. Führend seien aktuell Beschwerden über die noch mangelnde Verarbeitung des Erlebten und die subjektiv wahrgenommene, fehlende Unterstützung durch Ärzte und Krankenkassen.
Mit Bescheid vom 6. Oktober 2011 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass dessen Arbeitsunfähigkeit mit dem Zugang des Bescheides ende. Der Antragsteller legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und fügte eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin bei, in der diese ausführte, dass im Verlauf eine leichte Besserung zu vermerken sei, die Symptome der depressiven Erkrankung jedoch noch deutlich vorhanden seien, so dass zum jetzigen Zeitpunkt ein Arbeitsfähigkeit noch nicht gegeben sei.
Am 21. November 2011 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er trägt vor, dass er derzeit noch nicht in der Lage sei, seine zuletzt ausgeübte Arbeit wieder aufzunehmen. Seine Arbeit mit der Verantwortung für zehn Mitarbeiter sei mit erheblichen psychischen Belastungen verbunden und erfordere ein hohes Maß an Konzentration, Genauigkeit und Stressresistenz. Dieses Leistungsvermögen besitze er aufgrund seiner erheblichen depressiven Verstimmung nicht. Er leide unter einer permanenten Müdigkeit und massiven Konzentrationsschwäche, die es nicht zuließen, dass er seine anspruchsvolle organisatorische und koordinierende Berufstätigkeit wieder aufnehme. Seine behandelnde Ärztin bestätige das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit. Auf sein eigenes Bemühen hin sei es ihm gelungen, bereits am 22. Dezember 2011 mit einer Psychotherapie zu beginnen. Darüber hinaus habe er zweimal wöchentlich Ergotherapie. Bei einer Folgenabwägung sei zu beachten, dass eine vorzeitige Wiederaufnahme der Berufstätigkeit zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen könnte. Ein Anordnungsgrund sei gegeben, da seine finanziellen Mittel ausgeschöpft seien und auch mit dem Einkommen der Ehefrau der laufende Unterhalt der Familie nicht sichergestellt werden könne. Auf die Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen könne er nicht zumutbar verwiesen werden. Der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig weiterhin Krankengeld zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung verweist sie auf das Gutachten des MDK, das nach einer körperlichen Untersuchung erstellt worden sei und nach dem beim Antragsteller eine weitere Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr begründet sei. Auch aus dem fachärztlichen Attest ergebe sich keine ausreichende Begründung für eine Änderung der vorgutachtlichen Beurteilung. Das Gericht hat einen Befundbericht der behandelnden Ärztin des Antragstellers eingeholt. Diese hat ausgeführt, dass aufgrund der länger anhaltenden mittelschweren depressiven Episode der Zeitraum der weiteren Arbeitsunfähigkeit zurzeit noch nicht absehbar sei. Die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin haben vorgelegen und sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt, des Sachvortrags der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Prozess- und Beiakten ergänzend Bezug genommen.
II. Der Antrag des Antragstellers ist zulässig und begründet. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Er- lass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Dabei darf die einstweilige Anordnung wegen des summarischen Charakters des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.
Der Antragsteller hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs als Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen hat der Antragsteller einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Fortzahlung von Krankengeld. Ein Anspruch auf Leistung von Krankengeld setzt nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetz- buch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V voraus, dass eine Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Der Krankengeldanspruch entsteht von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie hat die Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers bescheinigt; die letzte vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung datiert vom 1. Dezember 2011 und bescheinigt Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 11. Januar 2012. Bei einem Versicherten, der im Zeitpunkt der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit in einem Arbeitsverhältnis steht und einen Arbeitsplatz inne hat, ist für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit darauf abzustellen, ob er die an diesen Arbeitsplatz gestellten beruflichen Anforderungen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erfüllen kann. Nach den vorliegenden Unterlagen ist davon auszugehen, dass die ursprünglich die Arbeitsunfähigkeit auslösende Erkrankung, die Hirnstammischämie und deren ummittelbare Folgen, derzeit einer Arbeitsaufnahme nicht mehr entgegen stehen. Bereits im Entlassungsbericht der Anschlussheilbehandlung war hinsichtlich der dort beschriebenen Restsymptomatik die Auffassung vertreten worden, dass diese in zwei bis drei Wochen gänzlich abgeklungen sei und eine Arbeitsfähigkeit wieder gegeben sein dürfte. Offensichtlich ist es nach der Hirnstammischämie beim Antragsteller aber zu der nun- mehr bereits länger andauernden depressiven Episode gekommen, die erstmals für die Zeit ab 15. Juli 2011 die Arbeitsunfähigkeit maßgeblich mitbedingt hat. Nach Darstellung der behandelnden Ärztin ist beim Antragsteller die Symptomatik noch so stark ausgeprägt, dass sie eine Arbeitsfähigkeit des Antragstellers nicht für gegeben erachtet. Als Funktionsstörungen beschreibt sie einen reduzierten Antrieb, eine eingeschränkte Schwingungsfähigkeit und Konzentrationsstörungen. Mit diesen funktionellen Einschränkungen ist der Antragsteller den Anforderungen als Führungskraft mit Personalverantwortung in einem Tätigkeitsfeld mit erhöhter Stressbelastung derzeit nicht gewachsen. Die von der behandelnden Ärztin beschriebene Symptomatik konnte zwar von dem Gutachter des MDK nicht festgestellt werden. Er vermochte weder Konzentrationsstörungen zu beobachten, noch eine gedrückte Stimmungslage oder eine reduzierten Antrieb und kam zum Ergebnis, dass eine mittelgradige Depression nicht mehr vorliegt und mit dem aktuellen psychopathologischen Befund die weitere Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr begründet werden kann. Diese Einschätzung beruht jedoch auf einer einmaligen Untersuchung des Antragstellers und vermag nach Auffassung des Gerichts die Beurteilung der behandelnden Ärztin nicht hinreichend zu widerlegen. Der von ihr beschriebene psychopathologische Befund, dem eine bereits mehrere Monate dauernde Beobachtung des Antragstellers zugrunde liegt, weist durchaus Auffälligkeiten auf, die für das Fortbestehen der depressiven Erkrankung sprechen und bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur überschlägigen Prüfung die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.
Der Antragsteller hat auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Für die hier begehrte Regelungsanordnung erfordert ein Anordnungsgrund deren Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Es gilt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den Antragsteller vor vollendete Tatsachen zu bewahren, bevor er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86b Rn. 28). Ein Verweis des Antragstellers auf Grundsicherungsleistungen und auf ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache wäre in dem hier zu entscheidenden Verfahren nicht sachgerecht. Angesichts der Höhe des Krankengelds von kalendertäglich 63,02 € ist offensichtlich, dass die Leistungen nach dem SGB II deutlich niedriger ausfallen würden. Die entscheidende Kammer teilt darüber hinaus die Bedenken des Bayerischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 11. August 2011 - L 5 KR 271/11 B ER, zitiert nach juris) hinsichtlich der Verweisbarkeit auf die Grundsicherungsleistungen. Denn der Bezug von Krankengeld begründet im Gegensatz zum Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II ein Versicherungspflichtverhältnis mit Anwartschaftserwerb in der Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung. Hat der Gesetzgeber aber den Leistungsbezug nach dem SGB II und den Bezug von Krankengeld so klar unterschiedlich bewertet, darf im Verfahren auf Gewährung von Krankengeld im einstweiligen Rechtsschutz diese Wertung nicht unbeachtet bleiben. Der Krankengeldbezug im einstweiligen Rechtsschutz wird dem Antragsteller ab Rechtshängigkeit seines Eilverfahrens ab dem 21. November 2011 zugesprochen. Die Verpflichtung zur weiteren Zahlung von Krankengeld besteht für die Antragsgegnerin nur bei Fortbestehen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Quelle: Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 23.12.2011.
Kommentare
Kommentar schreiben
Veröffentlicht am
02.01.2012
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
Hinweis
Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.
Urheber
© Rechtsanwalt Köper (Gilt nicht für gekennzeichnete Pressemitteilungen, Medieninformationen und Gerichtsentscheidungen)
Seien Sie die erste Person, die einen Kommentar zu diesem Artikel abgibt.