Die 46. Kammer des Sozialgerichts Hamburg hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass das Fehlen einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach dem amtlichen Muster nicht zum Verlust des Krankengeldes führt, wenn die Arbeitsunfähigkeit in einem Wiedereingliederungsplan festgestellt wurde.

Sozialgericht Hamburg

Das Gericht führte aus:

Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 18. Februar 2019 – S 46 KR 2302/17: Vor dem jetzt streitgegenständlichen Zeitraum hatte der Kläger mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 7.07.2017 seine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 14.07.2017 durch seinen behandelnden Arzt feststellen lassen und diese auch rechtzeitig i. S. d. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bei der Beklagten eingereicht (vgl. Bl. 20 d. Verw.A.). Ebenfalls am 14.07.2015 suchte er seinen behandelnden Arzt erneut auf, wobei dieser den Wiedereingliederungsplan auf dem dafür vorgesehenen Vordruck erstellte, der dann am 17.07.2017 und damit ebenfalls innerhalb der zeitlichen Grenze des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bei der Beklagten einging (vgl. Bl. 10 d. Verw.A). Hierin gliederte der behandelnde Arzt die stufenweise Wiedereingliederung folgendermaßen: In der Zeit vom 17.07.2017 bis 28.07. könne der Kläger täglich vier Stunden, in der Zeit vom 29.07. bis 11.08. täglich sechs Stunden und ab 12.08. wieder acht Stunden arbeiten. Anschließend stellte der Kläger sich wieder am 10.08.2017 bei seinem behandelnden Arzt vor, der ihm mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gleichen Datums Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 13.08.2017 attestierte (Bl. 21 d. Verw.A.). Damit war für den streitgegenständlichen Zeitraum die Arbeitsunfähigkeit durchgehend ärztlich festgestellt. Dem steht nicht entgegen, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung nicht auf dem für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgesehenen Muster 1a (1.2016), sondern auf dem Muster 20b (4.2009) für die stufenweise Wiedereingliederung erfolgte. Dass es nicht auf die Verwendung des Musters 1a (1.2016) ankommt, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 46 S. 2 Hs. 1 SGB V, der allein die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit fordert, nicht jedoch die Verwendung eines bestimmten Vordruckes erfordert. Eine derartige Feststellung beinhaltet auch der Wiedereingliederungsplan, denn zum einen ergibt sich aus der Feststellung, der Kläger könne zunächst vier und später sechs Stunden täglich arbeiten, die denklogische Folge, dass er im Übrigen arbeitsunfähig war, zum anderen gibt der behandelnde Arzt auf dem Bogen aber auch an, ab wann er mit einer Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit rechne. Damit unterscheidet sich die Feststellung mittels dieses Vordrucks inhaltlich in keiner Weise von der Feststellung mit dem sonst üblichen Muster. Ein derartiges Normverständnis wird auch dem Zweck der durchgehenden ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit i. S. d. § 46 S. 2 Hs. 1 SGB V gerecht, denn die Vorschrift dient allein der Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens und der Abwehr eines etwaigen Leistungsmissbrauch. Insbesondere die rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (und damit einhergehende Unsicherheiten) sollen vermieden werden (vgl. Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 46 SGB V, Rn. 16 m.w.N.). Diesem Zweck wird aber eine zeitnahe und durchgehende ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gleich auf welchem Muster gerecht. Selbst eine ärztliche Feststellung in jeder erdenklichen schriftlichen Form könnte geeignet sein, diesen Zweck zu erfüllen, solange sie zeitnah und ohne Lücken erfolgt. Nach der Rechtsprechung des BSG muss die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit weder durch einen Vertragsarzt noch auf dem durch § 5 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vorgesehenen Vordruck erfolgen, um die Voraussetzungen des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V zu erfüllen (Sonnhoff a.a.O., Rn. 52 m.w.N.). Schließlich ergibt sich eine derartige Auslegung auch unzweifelhaft aus dem systematischen Zusammenhang, denn nach § 2 Abs. 1 S. 1 der RichtlinieArbeitsunfähigkeits-Richtlinie Stand: 20. Oktober 2016 des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nu mmer 7 SGB V(Arbeitsunfähig keits-Richtlinie)in der Fassung vom 14. November 2013veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 27.01.2014 B4 in Kraft getreten am 28. Januar 2014zuletzt geändert am 20. Oktober 2016veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 23.12.2016 B5 in Kraft getreten am 24. Dezember 2016 besteht auch während der stufenweisen Wiedereingliederung Arbeitsunfähigkeit. Das weitere Verfahren bei stufenweiser Wiedereingliederung ist dann in der Anlage zur Richtlinie in Form von Empfehlungen geregelt (§ 7 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie). Schon daraus, dass das weitere Vorgehen aber lediglich in Form von Empfehlungen beschrieben wird, kann nur folgen, dass es auf die übrigen Regeln zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht ankommen kann, jedenfalls besteht keine Verpflichtung zur Verwendung der von der Beklagten geforderten Vordrucke. Die ärztliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit muss jedoch nicht zwingend durch einen Vertragsarzt erfolgen und kann auch einen längeren Zeitraum umfassen. Auch die Verwendung der in § 5 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (AU-RL) vorgesehenen Vordrucke (Muster 1 und Muster 17) ist nicht notwendig, da die AU-RL den leistungsrechtlichen Krankengeldtatbestand nicht ausgestalten (BSG, Urt. v. 10.12.2012 - B 1 KR 20/11 R - juris, Rn. 13; Urt. v. 12.03.2013 - B 1 KR 7/12 R -, juris Rn. 15). Ob und in welchem Umfang eine dokumentierte ärztliche Äußerung die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit enthält, ist durch Auslegung zu ermitteln. Insoweit kommt es auf den objektiven Erklärungsgehalt aus dem Empfängerhorizont und die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls an, wobei bei an eine größere Anzahl oder unbestimmte Vielzahl von Adressaten bestimmten formularmäßigen Erklärungen auf den durchschnittlichen Empfängerhorizont der Zielgruppe einheitlich und objektiv abzustellen ist und nur solche Umstände berücksichtigt werden dürfen, die jedermann bzw. jedem Angehörigen der jeweiligen Adressatengruppe bekannt oder erkennbar sind (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01. Februar 2018 – L 1 KR 764/16 –, Rn. 49, juris m.w.N.). Genau diesen Anforderungen wird aber der Wiedereingliederungsplan gerecht.


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Veröffentlicht am

21.03.2019

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Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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