Das Thüringer Oberlandesgericht hat in einem Beschluss festgehalten, dass sich Geschädigte von Abfindungsvergleichen mit Versicherungen nur unter sehr engen Voraussetzungen lösen können. Es ist daher bei Abfindungsvergleichen Vorsicht geboten, insbesondere wenn Gesundheitsschäden vorliegen, die Langzeitwirkung entfalten können.

Der Kläger verletzte sich bei einem Sturz im Jahr 2008 die rechte Schulter. Nach einigen Auseinandersetzungen mit seiner privaten Unfallversicherung unterzeichnete er eine Vergleichs- und Abfindungserklärung, aufgrund derer die beklagte Versicherung 2.147,43 EUR an den Kläger zahlte. Der Kläger erklärte alle Ansprüche wegen des Unfalls als abgegolten und erklärte einen umfassenden Verzicht auch für den Fall, dass noch Unfallfolgen vorhanden seien oder künftig auftreten sollten, die ihm bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt waren.

Nachdem sich die Bewegungsfähigkeit der rechten Schulter massiv verschlechtert hatte, wandte sich der Kläger im Kulanzwege an seine Versicherung. Diese verweigerte jedoch die Zahlung und berief sich auf den geschlossenen Vergleich. Sodann focht der Kläger den Vergleich durch anwaltliches Schreiben an. Daraufhin kam es zum Prozess. Der Kläger verlor jedoch sowohl vor dem Landgericht als auch vor dem Oberlandesgericht.

Wolle der Geschädigte von einem umfassenden Abfindungsvergleich abweichen und Nachforderungen stellen, so das Gericht in seiner einstimmigen Entscheidung, müsse der Kläger dartun, dass ihm ein Festhalten am Vergleich nach Treu und Glauben nicht zumutbar sei, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen sei oder sich geändert habe, so dass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheine, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten seien, die für den Geschädigten nach den gesamten Umständen des Falles eine ungewöhnliche Härte bedeuten würden. Diese Voraussetzungen träfen jedoch auf den vom Kläger geschlossenen Abfindungsvergleich nicht zu.

Kommentar: Bewerten Sie alle Risiken eines Vergleichsschlusses bereits im Vorfeld. Oftmals ist es nicht hilfreich, "den Spatz in der Hand" in Form einer schnellen Geldzahlung vorzuziehen. Lassen Sie sich daher anwaltlich beraten. Rechtsanwälte sind verpflichtet, den Mandanten in Hinblick auf einen Abfindungsvergleich sorgfältig zu beraten und über die möglichen Folgen eindringlich aufzuklären. Sollten Sie doch einen solchen Vergleich geschlossen haben und sich im Nachhinein gesundheitliche Probleme ergeben, kontaktieren Sie mich trotzdem gerne. Im Einzelfall kann mitunter eine ungewöhnliche Härte vorliegen, die es in der Anfechtung des Vergleiches herauszuarbeiten gilt.

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Kommentare

R.
13.01.2017, 08:04 Uhr

Erfahrungsgemäß versuchen Anwälte ihre Mandanten häufig für Abfindungen zu begeistern, da sie auf diesem Wege einfacher an ihr Honorar und die nicht unerhebliche Einigungsgebühr kommen. Als Unfallopfer hat man es dann mit 2 Gegenseiten zu tun: Der Versicherung und dem eigenen Anwalt. Abfindungsvergleiche sollten vom Gesetzgeber daher verboten werden

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
16.01.2017, 08:43 Uhr

Sehr geehrte(r) R.,

vielen Dank für Ihren Beitrag. In der Tat darf man bei langfristigen Gesundheitsschäden (leider) auch nicht dem eigenen Anwalt blind vertrauen, da viele Anwälte mit der Schadenberechnung überfordert sind und der Versicherer dem Anwalt wegen der Vielzahl der Fallbearbeitung fachlich überlegen ist. Man sollte daher dem anwaltlichen Rat zum Abschluss eines Vergleichs mit der Versicherung nicht folgen, ohne eine detaillierte Personenschadenberechnung gesehen zu haben. Der Anwalt möge einem diese Berechnung vorlegen, um für die Verhandlung erst einmal zu erfahren, "was im Topf ist". Rät der Anwalt zu einem viel zu niedrigen Vergleich, ohne nachweislich eine solche Berechnung angestellt und dem Mandanten erklärt zu haben, stellt sich die Frage der Anwaltshaftung. Der Bundesgerichtshof hat 2012 noch einmal grundlegend klargestellt:

Erwägt der Mandant den Abschluss eines Vergleiches, muss ihm der Anwalt dessen Vor- und Nachteile darlegen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es sich um einen Abfindungsvergleich handelt (Festhaltung BGH, 13. April 2000, IX ZR 372/98, NJW 2000, 1944 und BGH, 11. März 2010, IX ZR 104/08, NJW 2010, 1357). Der Anwalt hat von einem Vergleich abzuraten, wenn er für die von ihm vertretene Partei eine unangemessene Benachteiligung darstellt und insbesondere begründete Aussicht besteht, im Falle einer streitigen Entscheidung ein wesentlich günstigeres Ergebnis zu erzielen (Festhaltung BGH, 7. Dezember 1995, IX ZR 238/94, NJW-RR 1996, 567)

Vielleicht möchten Sie ja über Ihren Fall berichten - haben Sie einen schlechten Vergleich abgeschlossen?

R.
27.01.2017, 21:45 Uhr

Guten Tag Herr Köper, danke der Nachfrage. Was meinen „Fall“ angeht, so ist er noch nicht abgeschlossen. Ich wurde vor gut 2 Jahren von einem Auto angefahren und erheblich verletzt. Unter anderem eine Tibiakopfimpressionsfraktur, also ein sehr komplizierter Bruch am Knie wobei leider Dauerschäden zurückgeblieben sind und die Gefahr von Spätschäden gegeben ist. Ich bin dann bei einem Anwalt gelandet, der seine Kompetenzen vor Mandatserteilung gelinde gesagt deutlich zu „optimistisch“ geschildert hatte. Im Personenschadensrecht hatte er, wie er später einräumte, kaum Erfahrungen und bisher nur Bagatellfälle. Er war meines Erachtens nicht in der Lage, ein angemessenes Schmerzensgeld zu ermitteln und zeigte auch kaum Interesse an den medizinischen Unterlagen. Er hatte dann massiv versucht, mich zu einem Abfindungsvergleich zu drängen unter anderem indem er mich meines Erachtens bezüglich des Prozessrisikos versuchte zu täuschen. Ich hatte dann ziemlich genervt den Anwalt gewechselt, obwohl ich durch doppelte Anwaltskosten wohl auf einigen Kosten sitzenbleiben werde. Das erschien mir allerdings alternativlos. Jetzt bin ich bei einer Kanzlei, die auf Personenschäden spezialisiert ist. An der Kompetenz meines neuen Anwaltes habe ich keine zweifel und die Gegenseite scheint den Eindruck zu haben, dass sie nun mit ihm auf „Augenhöhe“ verhandeln sollte. Das finde ich positiv. Allerdings hatte ich meinem neuen Anwalt schriftlich mitgeteilt, dass ich aufgrund meiner Zukunftsrisiken keine abschließende Lösung wünsche und er versucht dennoch mich zu einem Abfindungsvergleich zu bewegen. Ich hatte meinen Orthopäden befragt, was seine Einschätzung bezüglich einer Abfindungserklärung ist und er hat mir deutlich abgeraten, beziehungsweise empfohlen, einen Vorbehalt von mindestens 5 Jahren zu machen, da meine Verletzung in diesem Zeitraum besonders gefährdet ist, sich zu verschlechtern. Ich hatte die Einschätzung meines Orthopäden meinem Anwalt mitgeteilt, aber er zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt. Er argumentiert immer damit, dass es nach einigen Jahren sehr schwer sei nachzuweisen, dass zum Beispiel eine Arthrose unfallbedingt ist und da würde ich schwer einen Arzt finden, der bereit ist mir dies zu bestätigen. Sicher ist seine Argumentation nachvollziehbar, aber ein Abfindungsvergleich birgt viele Risiken. Außerdem gibt es Risiken die meines Erachtens auch nach Jahren eindeutig auf den Unfall zurückzuführen wären. So ist im Knie unter anderem eine Titanplatte verblieben und es gibt durchaus das Risiko, dass es dort zu Entzündungen kommt und sie dann herausgenommen werden müsste was nicht immer komplikationslos verläuft. Es ist eben eine schwierige Entscheidung, ob man eine Prozess mit allen Risiken und nervlichen Belastungen in Kauf nimmt oder sich auf einen Abfindungsvergleich einlässt. Wobei einem klar sein, sollte das die einzige Motivation der Versicherung ist, Geld zu sparen und dies geschieht dann auf Kosten der Unfallopfer. Nur deshalb drängen Versicherungen zu einer abschließenden Lösung. Als Anwalt sieht man sich dann vermutlich nicht selten vor der Herausforderung gestellt sich nicht durch eigene wirtschaftliche Interessen beeinflussen zu lassen. Das ist menschlich verständlich und nachvollziehbar, aber nicht unproblematisch. Ich würde es jedenfalls schwer bereuen, wenn es in einigen Jahren zu Spätschäden kommen sollte, die unfallkausal sind und dann niemand mehr „zuständig“ ist und mich mein Orthopäde fragt, warum ich so blöd war, das entgegen seiner Empfehlung zu machen. Vielleicht gelingt es meines Anwalt ja, das ohne Prozess hinzubekommen - Falls nicht, darf ich mich wohl auf einige Jahre Stress mit der Versicherung vor Gericht freuen.

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
02.02.2017, 10:51 Uhr

Sehr geehrter Herr R.,

Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Erstens sollte man sich nach Unfällen mit schweren Verletzungen und Langzeitschäden unbedingt an Anwälte wenden, die mit der sog. Personenschadenregulierung und Personenschadenberechnung vertraut sind und medizinische Sachverhalte, d.h. Befund- und Entlassungsberichte nach ihrem Wert für die Verhandlung mit der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners einordnen und gewichten können. Durch eine Vertretung mit Anwälten, die fachgebietsfremd solche Fälle bearbeiten, können ganz immense finanzielle Schäden eintreten, wenn die Versicherung merkt, dass der Anwalt den Schaden nicht einschätzen und berechnen kann. "25.000 €" können sich viel anhören, aber auch 50.000 € zu niedrig liegen. Zweitens sollte man die gesetzliche Anwaltskostenregelung im Hinterkopf haben, dass Anwälte bei einem sog. Abfindungsvergleich mit der Versicherung eine Einigungsgebühr erhalten, die bei Personenschäden schnell hoch ausfällt. Der Gesetzgeber hat diese Regelung geschaffen, um die Gerichte zu entlasten und will Einigungen fördern. Das ist legitim, kann sich aber auch zu Ungunsten des Mandanten auswirken. Andererseits ist zu beachten, dass Anwälte auch an einem Gerichtsverfahren Gebühren verdienen, so dass man den tendenziellen Rat des Anwalts zu einem Abfindungsvergleich nicht pauschal als gebührenorientiert abtun sollte. Gerichtsverfahren mit der Versicherung in Personenschadenfällen dauern meist sehr lange, häufig Jahre und stellen eine erhebliche nervliche Belastung dar. Man muss auch wissen: Geht die Sache vor Gericht, geben die Versicherungen den Fall von ihrer Schadenabteilung an auf Personenschäden spezialisierte Versicherungskanzleien ab, die massenweise solche Verfahren bearbeiten und i.d.R. sehr stark sind. Dann geht der "Papierkrieg" erst richtig los. Sehr häufig steht dann auch am Ende des Gerichtsverfahrens ein nüchterner Vergleich, weil die mit reichlich Verfahren belasteten Richter solche Angelegenheiten ungerne durch lange, aufwändig zu begründende Urteile entscheiden. Auch die Richter müssen "Erledigungsquoten" einhalten. Man hat auch keine Garantie auf versierte Richter, d.h. auch diese können den Versicherungsanwälten fachlich unterlegen sein. Die Versicherungen können auch mit Berufung oder Revision drohen, d.h. einer jahrelangen Verlängerung des Rechtsstreits. Denn die Versicherung hat reichlich Zeit und Geld, auch für Privatgutachten spezialisierter Ärzte. Womit wir beim Risikofaktor "Gutachten" wären. Medizinische Gerichtsgutachten können vorteilhaft oder nachteilig ausfallen, die Gutachterauswahl trifft das Gericht. Gegen ein nachteiliges Gutachten ist es schwer, anzukommen. Ein Gerichtsverfahren oder gerichtliche Begutachtung kann auch glatt laufen und sich am Ende auszahlen, aber das Risiko von Komplikationen ist hoch. Deshalb sollte man als Betroffener mit seinem Anwalt die Frage eines Vergleichs meines Erachtens nach mindestens folgenden Gesichtspunkten gemeinsam beraten:

  1. Haftungsquote: Ist klar, in welchem prozentualen Umfang die gegnerische Versicherung "dem Grunde nach" zum Schadensersatz verpflichtet ist oder ist der Prozentanteil z.B. wegen eines möglichen Mitverschuldens oder unfallunabhängiger Ursachen streitig? Jeder zusätzliche Streitpunkt erhöht das Risko.
  2. Haftungshöhe: Wie hoch sind die maximal möglichen Schadensersatzansprüche, d.h. was ist im "Verhandlungstopf", welcher finanzielle Schaden kann bei ungünstigem Heilungsverlauf langfristig eintreten? Die Ansprüche sollten nach Schmerzensgeld, Erwerbsschaden (Verdienstausfall), vermehrte Bedürfnisse (z.B. Fahrtkosten zu Ärzten, Hilfsmittel), Haushaltsführungsschaden (Ausfall bei der Haushaltsführung) und u.U. Rentenschäden beziffert werden können. Bei Berechnungsfehlern - vor allem bei möglichen Erwerbsschaden - kann man hier schnell etliche tausend Euro daneben liegen.
  3. Beweislage: Wie stellt sich die medizinische Befund- und Gutachtenlage dar? Ist die Beweislage eher gut oder eher schlecht? Hier ist vor allem zu beachten, dass kein Gutachter Schmerzen oder psychische Schädigungen "messen" kann, d.h. je weniger organischer Krankheitsbefund da ist und je mehr Schmerzgeschehen oder psychische Schädigungen, desto risikoreicher die Beweislage. Aber auch die von Ihnen angesprochene Frage einer unfallbedingten oder unfallfremden Gelenkarthrose ist ein Klassiker und kann vom Gutachter später so oder so beurteilt werden. Gibt es langfristig auch in unbeschädigten Gelenken arthrotische Entwicklungen, kann sich die Beweislage verschlechtern. Der medizinischen Einschätzung eines kompetenten Artzes, dem man vertraut, sollt man einen hohen Stellenwert beimessen. Die Ärzte haben Erfahrungen mit jahrelangen Krankheitsentwicklungen.
  4. Prozessrisiko: Ist man prozesskostenempfindlich, d.h. hat man eine Rechtsschutzversicherung und kann sich einen Gerichtsprozess leisten?
  5. Finanzielle Situation: Ist man dringend auf baldige Zahlung angewiesen oder (z.B. wegen einer ausreichenden BG- oder BU-Rente) auch privat finanziell in der Lage, einen längeren Streit oder Gerichtsprozess durchzustehen?
  6. Psychische und familiäre Situation: Hat man die 'Nerven', sich lange mit der Versicherung zu streiten? Ist man sich klar darüber, dass in einem Gerichtsverfahren die Anwälte der Versicherung alles und jedes bestreiten und Aussagen als falsch darstellen? Kann und möchte man der Familie oder Beziehung einen jahrelangen Streit mit der Versicherung zumuten? Was nutzen 10.000 € mehr, wenn die Familie darunter leidet?

    Diese und weitere Überlegungen sollte man meines Erachtens bei einem Zahlungsangebot der Versicherung anstellen - und schließlich auch ein wenig auf sein "Bauchgefühl" hören.

Freunde des gesprochenen Wortes finden hier noch ein kurzes Video zum Thema Abfindungsvergleich.

R.
02.02.2017, 16:35 Uhr

Leider ist es wirklich kompliziert und ich kann niemandem empfehlen sich über den Haufen fahren zu lassen da der Unterhaltungswert überschaubar ist.

Mein Anwalt ist der Meinung dass Versicherungen bei einem Abfindungsvergleich nochmal 10-20% zusätzlich zum angemessenen Schmerzensgeld drauflegen. Das wäre in meinem Fall eine Größenordnung von lediglich gut 2500-5000 Euro. Das ich dafür das ganze Risiko des unverschuldeten Unfall tragen soll erscheint mir verwerflich. Soweit mir bekannt werden gut 90% der Unfälle außergerichtlich reguliert. Im Grunde ist das wohl als „win win situation“ gedacht bei der alle Parteien vorteile ziehen sollen. Das Unfallopfer kommt schnell an sein Geld und die Versicherung spart sich Gerichtskosten was wiederum die Gerichte entlastet. Im Prinzip eine gute Idee die allerdings offenbar etwas schwierig ist umzusetzen. In einer Spiegel Zeitschrift aus dem Jahr 1973 wurde in einem Artikel der Fall eines Mannes geschildert der bei einem Verkehrsunfall sein Bein verloren hatte und der Fall vor Gericht landete. Der Richter hatte befunden ihm würden mindestens 30000 DM zustehen aber aufgrund des schlechten Regulierungsverhaltens der Versicherung hat er den Betrag auf 40000 DM erhöht. Der Richter hatte sich noch verärgert gezeigt das Versicherungen ihre Macht nutzen um Unfallopfer zu „selbst-schädigenden Vergleichen“ zu drängen. Der Artikel ist nach über 40 Jahren immer noch Aktuell. Man könnte sagen „the same procedure as every year“ Das scheint mir ein Fehler im System zu sein wenn sowieso Traumatisierte Unfallopfer wie ich sich noch Jahre mit Versicherungen um angesichts lebenslanger Folgen eher „symbolische“ Beträge streiten müssen. Es sollte hier vom Gesetzgeber festgesetzte Beträge geben. Es gibt ja auch Tarifverträge und man hat den Anspruch nach Tarif bezahlt zu werden. Das geht bei einer Vielzahl von unterschiedlichen Berufen und Tätigkeiten vom Straßenfeger bis zum Bundeskanzler. Und so sollte auch Schmerzensgeld nach einem Tarifsystem gezahlt werden. Ich bin nicht unbedingt vermögend und in meiner Situation hätten sicher die Meisten längst „Das schnelle Geld“ genommen aber meine Begeisterung hält sich sehr in Grenzen. Ich bin vielmehr verärgert. Was meinen Fall angeht so ist die Haftungsfrage laut meinem Anwalt unstrittig zu meinen Gunsten. Da ich Hartz 4 Beziehe könnte ich im Falle eines Verfahrens Prozesskostenhilfe erhalten. Ich überlege ob eine Festellungsklage eine gute Idee wäre wenn es außergerichtlich scheitert. Damit wäre zumindest die Problematik der Verjährung entschärft. Jedenfalls finde ich Ihren Hinweis das die Haftungshöhe vom Anwalt genau ermittelt werden sollte sehr hilfreich. Falls ich mich doch zu einem Abfindungsvergleich durchringen solle werde ich von meinem Anwalt einfordern das er zu den von Ihnen benannten Punkten genaue Zahlen liefert. Der Hinweis auf 10 bis 20% mehr als das angemessene Schmerzensgeld scheint dem nicht gerecht zu werden.

R.
06.02.2017, 21:54 Uhr

Also mittlerweile gab es ein Regulierungsgespräch. Das die Versicherung versuchen wird, mich über den Tisch zu ziehen, war erwartbar, aber die Perfidität nötigt mir doch einigen Respekt ab. Mein Anwalt war der Meinung, das angemessene Schmerzensgeld würde bei ca. 25.000 € liegen. Nun aber gibt es das Angebot der Versicherung, dass ich 25.000 € bekomme, mich damit aber für alles und endgültig abgefunden erklären soll. Um dieses Angebot anzunehmen, habe ich 14 Tage Zeit. Die 2. Variante wären 14.000 € Schmerzensgeld und dafür hält die Versicherung den Fall noch knapp 2 Jahre, also bis ende 2018 offen. Am Ende der Laufzeit soll es noch ein Gutachten geben. Wenn sich keine Spät- bzw. Folgeschäden zeigen, bleibt es bei den 14.000 Euro Schmerzensgeld und ich habe keine Möglichkeit, weitere Ansprüche zu stellen, da Verjährung eintritt. Also auch eine Abfindung - nur eben Ende 2018. Ich gehe davon aus, falls es laut Gutachten doch zu einer Verschlechterung gekommen ist, wird die Versicherung erst mal bestreiten, dass es unfallkausal ist und schwupp… ist 2019 und die Sache auch verjährt. Sehr originell. Mein Anwalt will die Sache offenbar gerne abschließen. Er ist der Meinung, das es unwahrscheinlich ist, das es noch zu Spätschäden kommt, da die Verletzung bereits 2015 war. Sehr schlüssige Argumentation. Bei allem Respekt - er ist doch medizinischer Laie. Es gibt noch kein Gutachten und keine ärztliche Stellungnahme, die mögliche Spätschäden und die Wahrscheinlichkeit, ob diese eintreten, abklären. Somit gibt es meiner Ansicht nach keine belastbare Grundlage für meinen Anwalt beurteilen zu können, ob das Abfindungsangebot angemessen ist. Aber ich habe 14 Tage zum Unterschreiben der Abfindungserklärung. Ich hatte eigentlich erwartet, dass mein Anwalt „kämpft“ und dahingehend wirkt, dass ich nicht weniger als ein angemessenes Schmerzensgeld erhalte und ich keine Abfindung unterschreiben soll. Da waren meine Ansprüche an die „Spezialkanzlei für Personenschäden“ wohl etwas überzogen. Ich bin maßlos enttäuscht. Eigentlich wollte der Anwalt einen Vorschuss auf Schmerzensgeld anfordern und davon dann seine gesamte Vorauszahlung abziehen. Somit wäre er ja abgesichert, egal wie es läuft. Die Versicherung hat offenbar nicht vor, etwas zu zahlen, bevor ich mich für eine der Optionen entschieden habe. Ich werde meinen Anwalt erst mal explizit anweisen, keine Vorauszahlungen zu fordern. Ich bin 'Hartz 4', da kann ich das im Zweifelsfall ja in Raten abzahlen. Das könnte man als einen „Stahlpakt“ bezeichnen. Ich würde ihn auch mal in die Suppenküche bei mir um die Ecke einladen, man speist dort ganz vorzüglich. Ich bin jedenfalls echt bedient, was Anwälte und Versicherungen angeht und unschlüssig, wer mitunter das größere Problem darstellt.

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
07.02.2017, 12:55 Uhr

Sehr geehrter Herr R.,

wenn Sie infolge des Unfalls Ihre Arbeit verloren und nach Auslaufen des Krankengeldes in den Arbeitslosengeld, bzw. 'Hartz-4-Bezug' geraten sind, wäre eine in erster Linie am Schmerzensgeld orientierte Lösung natürlich zu kurz gegriffen. Dann wäre je nach Alter sicherlich die größere Schadenposition der Erwerbsschaden. Wenn Sie im Zeitpunkt des Unfalls bereits arbeitslos waren, hängt die Geltendmachung eines Erwerbsschadens an der Möglichkeit des Beweises, dass man ohne Unfall wieder eine Anstellung gefunden hätte. Wenn man bereits eine greifbare Jobzusage hatte, wäre dies ein Ansatz. Falls in Ihrem Fall die Geltendmachung eines Erwerbsschadens und anderer Schadenpositionen wie Haushaltsführungsschaden und vermehrte Bedürfnisse im Wesentlichen ausscheidet und als signifikante Schadenposition das Schmerzensgeld übrig bleibt, ist natürlich auch das tatsächliche Schmerzgeschehen zu berücksichtigen, das im Streitfall vor Gericht vom Versicherer bestritten wird. Führen Sie denn ein Schmerztagebuch mit einer ganz konkreten Schilderung der auftretenden Schmerzen? Schmerzen kann man im Falle eines Rechtsstreits wie gesagt nicht "messen", siehe oben, hier ist eine substantiierte und detaillierte Schilderung des Schmerzgeschehens durch den Betroffenen sehr wichtig. Ist denn außerdem bei Ihnen im Falle ungünstigen Heilungsverlaufs, bzw. im Falle von Spätschäden mit der Gefahr starker Schmerzen zu rechnen? Bitten Sie Ihren Arzt, Ihnen einen Befundbericht mit Angaben zu etwaigen Langzeitschäden und -schmerzen zu erstellen. Ein "Schmerzensgeld" (wie Sie schreiben) von 25.000 € für eine Knieverletzung ist nach meiner Einschätzung jedenfalls hoch. Meistens bewegt sich das Schmerzensgeld (nur dieses, nicht andere Schadenpositionen!) bei diesen Verletzungen eher im vierstelligen Bereich. Sie müssen sich auch überlegen, ob Ihnen dieses Geld Möglichkeiten eröffnet, z.B. zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. In Hinblick auf das Jobcenter sollten Sie sich im Falle einer endgültigen Abfindung die schriftliche Bestätigung des Versicherers erteilen lassen, dass es sich bei dem Betrag um eine "Entschädigung" handelt, "die wegen eines Schadens, der kein Vermögensschaden ist, gezahlt wird". Dann darf diese Zahlung nicht (auch nicht teilweise) auf Ihr 'Hartz 4' angerechnet werden, § 11a Absatz 2 Sozialgesetzbuch 2. Was die Verjährung angeht, so sollte man von der Versicherung vor Ablauf der Verjährungsfrist unter Fristsetzung eine "Haftungserklärung" abverlangen und zwar dergestalt, dass der Versicherer alle unfallbedingten materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche, die nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger übergegangen sind, mit der Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils dem Grunde nach anerkennt und auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Tut der Versicherer dies nicht, muss innerhalb der Verjährungsfrist eine entsprechende Feststellungsklage bei Gericht erhoben werden. Das Gericht kann dann z.B. durch Urteil feststellen, dass der Versicherer (oder Schädiger) dem Grunde nach verpflichtet ist, sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem näher bestimmten Unfallereignis zu erstatten, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind. Damit hat man dann ein Grundurteil, dass 30 Jahre hält. Schmerzensgeld und sonstige Schadenersatzansprüche kann man dann nach und nach geltend machen und notwendigenfalls einklagen. Beim streitigen Lösungsweg ist aber keinesfalls garantiert, dass man im Ergebnis "mehr rausholt". Seien Sie sich darüber im Klaren, dass ein langer Rechtsstreit mit dem Versicherer kein Spaziergang ist.

R.
31.03.2017, 17:16 Uhr

Vielen Dank für Ihre interessanten Hinweise.

Zum Unfallzeitpunkt war ich erwerbstätig. Allerdings ist die Firma dann insolvent gegangen und somit hätte ich auch unabhängig vom Unfall den Job verloren. Verdienstausfall und Haushaltsführungsschaden wurden von der Versicherung bereits reguliert.

Ein Schmerztagebuch führe ich nicht, aber ich habe meinem Arzt meine Beschwerden sowie Einschränkungen und Schmerzen geschildert und er hat darüber einen Arztbericht erstellt. Vor dem Arztbesuch hatte ich einige Wochen ein Schmerztagebuch geführt, um meinem Arzt möglichst umfassende Angaben machen zu können. Ich habe recht oft Schmerzen und da ist so ein Tagebuch ganz hilfreich, um selbst mal einen Überblick zu bekommen.

25.000 Euro „nur“ für eine Knieverletzung ist mit Sicherheit sehr hoch. Allerdings hatte ich noch weitere Verletzungen und psychische Schäden, wobei ich mich noch in psychologischer Behandlung befinde.

Was Langzeitschäden/Folgeschäden angeht, so ist laut meines Arztes bei ungünstigem Verlauf die Notwendigkeit eines Künstlichen Kniegelenkes nicht ausgeschlossen. Das Risiko geht auch von der noch im Knie verliebenden Titanplatte aus und da meint mein Arzt dass sich die Versicherung da auch nicht herausreden kann, da diese Platte ja vor dem Unfall nicht im Knie war.

Aus meiner Reha und im Bekanntenkreis ist mir bekannt dass ein Künstliches Kniegelenk nicht „der Weisheit letzter Schluss“ ist und es zu Schmerzen und nicht unerheblichen Einschränkungen der Lebensqualität und nicht zuletzt der Arbeitsfähigkeit kommen kann.

Ich hatte für meinen Anwalt eine Auflistung der mir bekannten möglichen Langzeit- bzw. Spätschäden erstellt auch um ihm zu verdeutlichen dass ein Abfindungsvergleich aus meiner Sicht problematisch ist. Unter anderem sind beide Schneidezähne abgebrochen und mussten überkront werden. Mein Zahnarzt ist darüber hinaus der Ansicht das es als Spätfolge zu einem Verlust beider Schneidezähne kommen kann und das das dann „richtig teuer wird“. Laut meinem Zahnartz ist eine „Lebensdauer“ der Zahnkronen von 8 Jahren zu erwarten. Wenn man bei mir von einer Statischen Lebenserwartung ausgeht, muss ich davon ausgehen, dass die Zahnkronen noch etwa 5 mal erneuert werden müssen. Bei einer Zuzahlung von ca 800 Euro würden dann Kosten von etwa 4000 Euro entstehen.

Ich müsste also alleine für das „Zahnrisiko“ mindestens 4.000 Euro von einer etwaigen Vergleichssumme zurückstellen, wobei dann noch das Zinsrisiko besteht, also die Notwendigkeit, für diese Summe Zinsen zu erzielen, die die Inflationsrate zumindest ausgleichen. Wie Sie wissen im derzeitigen Zinsumfeld eine recht ambitionierte Aufgabe.

Die Versicherung hatte durchblicken lassen das man dort ein „angemessenes“ Schmerzensgeld bei 20.000 Euro sieht. Mann hat mir jedoch keine 20.000 Euro mit Zukunftsvorhalt angeboten, sondern will dass ich eine Gesamtabfindung von 25.000 Euro unterschreibe. Im Grunde finde ich eine Gesamtabfindung durchaus interessant. Allerdings darf man dabei wie Sie angemerkt haben nicht benachteiligt werden. Dadurch ist es dann sicher unumgänglich, das möglichst genau versucht wird, Risiken und noch zu erwartende Kosten zu beziffern.

Da selbst die Versicherung bereit ist von 20.000 Euro angemessenem Schmerzensgeld auszugehen – wobei dort naturgemäß sicher nicht großzügig bewertet wurde – sind lediglich ein Zuschlag von 5.000 Euro indiskutabel, da dadurch lediglich das Zahnrisiko abgedeckt sein dürfte. Zumindest wenn es nicht noch zu einem Zahnverlust kommen sollte.

Mein Anwalt hatte durchblicken lassen dass er es für eine Gute Idee hält, wenn ich die Gesamtabfindung unterschreibe. Ich halte diese Gesamtabfindung allerdings für indiskutabel, da es offenbar noch keine „Personenschadensermittlung“ mit konkreten Zahlen gab und ich somit folglich nicht im Stande bin, beurteilen zu können, ob der Vergleichsbetrag akzeptabel erscheint. Es wäre meiner Ansicht nach dann auch fahrlässig, von mir so einen Vergleich zu unterschreiben. Und das Zuraten meines Anwaltes ist zumindest seltsam, zumal er mir vor Erteilung des Mandats versichert hatte, dass es mit ihm keinen schnellen und nachteiligen Abfindungsvergleich geben wird. Wenn die Abfindungserklärung für die Versicherung und das Aufklärungsschreiben für den Anwalt erstmal unterschrieben ist, besteht für die beiden Parteien nahezu kein Risiko mehr, aber ich muss mich mit den etwaigen folgen arrangieren. Mein Anwalt versucht jedenfalls erstmal zu erwirken, dass die Verjährung 30 Jahre gehemmt ist.

Mittlerweile interessiert mich das Schmerzensgeld auch nicht mehr sonderlich. Ich versuche mal, ob ich einen Halbtagsjob bekommen kann der mir gefällt, statt mich mit Versicherungen und Anwälten zu beschäftigen.

L.
06.06.2018, 10:26 Uhr

Guten Tag, Herr RA.Köper, ich hatte vor 3 Jahren auf dem Arbeitsweg einen Sturz, woraus eine Radiusfraktur des Handgelenkes resultierte. Nun habe ich die Abfindungssumme ohne meine Zustimmung von der Versicherung erhalten, diese stüzt sich auf das Gutachten ihres Gutachters der 3/20 sagte, die sich aus Grundsumme: 100.000 € = 80% = 12000€ ergibt. Nun hatte die Versicherung die gleiche Summe schon vor dem Gutachten als Entschädigung angeboten. Ich frage mich, da Versicherungen stets nach unten rechnen, weshalb nun die gleiche Summe herausgekommen ist. Sollte man da sich anwalltlich mit einem Gutachter beraten? Mit freundlichen Grüßen, L.

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
07.06.2018, 15:46 Uhr

Sehr geehrter L.,

vielen Dank für Ihren Beitrag. Wenn der Versicherer Ihnen erst eine Summe anbietet und danach einen Gutachter beauftragt, dessen Gutachten rechnerisch zu genau diesem Ergebnis führt, dann hat entweder der Versicherer im Vorfeld der medizinischen Untersuchung super geschätzt oder der Gutachter genau das Ergebnis getroffen, dass der Versicherer sich gewünscht hat. In jedem Fall würde ich Ihnen raten, die Abfindung anwaltlich prüfen zu lassen, dieser kann anhand von Rechtsprechungsrecherchen und Fachliteratur zur sog. Gliedertaxe, bzw. Invaliditätsbemessung schauen, ob die Versicherungssumme angemessen ist.


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Veröffentlicht am

08.01.2013

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

Hinweis

Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.

Urheber

© Rechtsanwalt Köper (Gilt nicht für gekennzeichnete Pressemitteilungen, Medieninformationen und Gerichtsentscheidungen)

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