Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat klargestellt, dass Verletztengeld in einem gerichtlichen Eilverfahren (einstweilige Anordnung) nur dann erlangt werden kann, wenn keine (oder kaum) Zweifel daran bestehen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist und eine existenzgefährdende finanzielle Notlage vorliegt.
In dem entschiedenen Fall ging es um eine 39-jährige Krankenpflegehelferin, die im Nachtdienst eines Pflegeheims arbeitete. Eines Nachts kam ein drogenabhängiger Bewohner ihr und sagte "Am besten du stirbst. Am besten sofort." Gegen 2:00 Uhr nachts saß die Pflegehelferin alleine im Pflegebüro, als der drogenabhängige Bewohner erneut erschien und zu ihr sagte "Pass schön auf dich auf!" Sie rief daraufhin einen Kollegen, der den Bewohner aus dem Haus verwies. Dieser sagte noch zu dem Kollegen:
"Du kommst keine Minute zu früh, ich wollte sie abstechen und mir die Kehle durchschneiden".
Vor dem Pflegeheim holte der drogenabhängige Bewohner dann zwei Küchenmesser aus der Jacke, warf diese weg und floh.
In der Folgezeit litt die Krankenpflegehelferin unter Schlafstörungen und Panikattacken, und wurde wegen einer schweren depressiven Symptomatik, anhaltenden Ängsten und Panikattacken behandelt. Ferner wurde eine posttraumatische Belastungsreaktion diagnostiziert.
Die gesetzliche Unfallversicherung zahlte zwar zunächst Verletztengeld, gab aber gleichzeitig ein ärztliches Sachverständigengutachten in Auftrag, um zu klären, ob ein Arbeitsunfall vorliege. Die Gutachterin diagnostizierte u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung nach Bedrohungserleben mit Vermeidungsverhalten, emotionaler Gereiztheit, Rückzugs erleben, Schlafstörungen, Nervosität und Unruhe und kam zu dem Ergebnis, dass ein Arbeitsunfall vorliege und deshalb Arbeitsunfähigkeit bestehe.
Die Unfallversicherung holte jedoch noch eine weitere Stellungnahme einer neurologischen Klinik und Poliklinik eines berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums ein. Der dort behandelnde Prof. Dr. U. stellte - anders als die Vorgutachterin - jedoch fest, dass die Krankenpflegehelferin widersprüchliche Angaben zum Geschehensablauf gemacht habe. Es liege auch "keine posttraumatische Belastungsstörung" sondern lediglich eine "psychische Belastung durch Realängste" vor einem tätlichen Übergriff. Belastungen durch Realängste seien aber diagnostisch von einer unfallreaktiven psychischen Störung abzugrenzen. Es bestehe daher keine ereignisbedingte Arbeitsunfähigkeit für den Beruf als Krankenschwester.
Die Unfallversicherung stellte daraufhin die Zahlung von Verletztengeld ein, woraufhin die Krankenpflegehelferin Widerspruch erhob und einen Eilantrag beim Sozialgericht auf Weiterzahlung des Verletztengeldes stellte.
Sowohl das Sozialgericht, als auch das Landessozialgericht wiesen den Eilantrag zurück.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen führte dabei aus, es könne "allenfalls als offen angesehen werden", ob der Anspruch auf Verletztengeld bestehe, bzw. ein Arbeitsunfall vorliege. Dies lasse sich anhand der vorliegenden Unterlagen nicht klären. Es spreche einiges dafür, dass keine PTBS vorliege, denn eine Posttraumatische Belastungsstörung sei definiert als ein "belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde". Der in der Strafanzeige dargestellte Sachverhalt passe nicht zu dieser Definition. Es müsse daher eine weitere Klärung des Sachverhaltes und eine weitere Begutachtung erfolgen. Bestünden aber solche Zweifel, so das Landessozialgericht weiter, liege kein Anordnungsanspruch für die einstweilige Anordnung einer Verletztengeldzahlung vor. Denn bei "im Eilverfahren nicht möglicher vollständiger Aufklärung des Sachverhalts" gehe die Folgenabwägung "zu Lasten der Antragstellerin" ausgehen.
Außerdem sei auch ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich, da die Krankenpflegehelferin Arbeitslosengeld II ('Hartz IV') i.H.v. monatlich 856,20 € beziehe. Damit sei ihr Lebensunterhalt gesichert.
Kommentar: Die Entscheidung des Landessozialgerichts zeigt eindrücklich, wie schwierig es ist, Verletztengeld gegenüber der Unfallversicherung in einem gerichtlichen Eilverfahren durchzusetzen, erst recht bei psychischen Erkrankungen, die von den Ärzten unterschiedlich bewertet werden und bei Streit über die Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde oder nicht. Insbesondere Letzteres (die Kausalitätsfrage) muss in der Regel mit einem Sachverständigengutachten geklärt werden. Gutachten aber werden in gerichtlichen Eilverfahren i.d.R. nicht eingeholt, sondern aufgrund der bereits vorliegenden Unterlagen entschieden ("nach Aktenlage", "Glaubhaftmachung"). Sind die vorliegenden Unterlagen aber widersprüchlich, bzw. sprechen diese nicht sehr deutlich für den Versicherten, wird der Eilantrag abgelehnt.
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Veröffentlicht am
20.08.2015
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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