Das ZDF-Nachrichtenmagazin Frontal 21 hat unlängst darüber berichtet: Immer häufiger verweigern Krankenkassen zur Kosteneinsparung beantragte Mutter-Kind-Kuren. Wie Sie sich mit anwaltlicher Hilfe dagegen wehren können, erfahren Sie hier.

Der Anspruch auf eine Mutter-Kind-Kur ist in § 24 Sozialgesetzbuch 5 (Recht der gesetzlichen Krankenversicherung) geregelt. Danach haben Versicherte (also Mütter oder Väter) einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf "aus medizinischen Gründen erforderliche Vorsorgeleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung; die Leistung kann in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden."

Dem Gesetz ist demnach zu entnehmen, dass die Kassen gesetzlich verpflichtet sind, eine Mutter-Kind-Kur (oder Vater-Kind-Kur) zu bewilligen, wenn dies medizinisch erforderlich ist. Die medizinische Erforderlichkeit kann in der Regel der behandelnde Arzt bescheinigen. Lehnt trotz ärztlicher Befürwortung die Krankenkasse eine entsprechende Kur ab, kann gegen die Ablehnung der Krankenkasse Widerspruch und ggf. gegen einen ablehnenden Widerspruchsbescheid Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden.

Im Widerspruchs- oder Klageverfahren können Sie sich durch einen Rechtsanwalt / eine Rechtsanwältin vertreten lassen. Wird das Widerspruchs- oder Klageverfahren gewonnen, erfolgt eine Anwaltskostenerstattung durch die Krankenkasse. Wichtig ist auch zu wissen, dass für Sozialversicherte vor dem Sozialgericht grundsätzlich keine Gerichtskosten anfallen (§ 183 Sozialgerichtsgesetz), selbst wenn ein Klageverfahren verloren geht. Es sind auch keine gegnerischen Anwaltskosten zu erstatten (Krankenkassen vertreten sich selbst).

Falls Sie anwaltliche Unterstützung bei der Durchsetzung einer Mutter-Kind-Kur benötigen, kontaktieren Sie mich gerne.

Vertiefender Hinweis: Oftmals versenden die Krankenkassen nicht-förmliche Ablehnungsschreiben, d.h. Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung. Diesen Schreiben fehlt der nach § 36 Sozialgesetzbuch vorgeschriebene Hinweis: "Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats ... Widerspruch erheben". Mein Tipp: Fordern Sie die Krankenkasse gleich im Antragsschreiben auf, "einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erlassen". Falls Sie dennoch ein nicht-förmliches Ablehnungsschreiben erhalten, beginnen Sie keinen zeitraubenden und nervenaufreibenden Schriftwechsel mit der Krankenkasse, sondern antworten Sie: "Hiermit erhebe ich Widerspruch gegen Ihren Ablehnungsbescheid vom ...". Die Krankenkassen haben laut Gesetz 3 Monate Zeit, einen Widerspruch zu bescheiden. Falls Ihr Gesundheitszustand so schlecht ist, dass Sie sich auf eine mehrmonatige Auseinandersetzung nicht einlassen können, kommt ein sozialgerichtliches Eilverfahren in Betracht. Dieses dauert ca. 1 Monat.

Bedenken Sie: Die Krankenkassen sparen besonders bei Versicherten, die sich nicht wehren.


Kommentare

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
02.04.2013, 15:22 Uhr

Nachtrag: Nach den Umsetzungsempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes, der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene und des MDS ist bei der Auswahl der Rehabilitationseinrichtung/Klinik auch das sog. "Wunsch- und Wahlrecht" der Versicherten zu beachten. Insbesondere, wenn bei Ihnen oder Ihren Kindern medizinische Gründe für die Auswahl einer bestimmten (Vertrags-) Klinik vorliegen (Ärztliches Attest!), können Sie darauf pochen, in die Wunsch-Klinik aufgenommen zu werden. Für behinderte Eltern bzw. Kinder ist das Wunsch- und Wahlrecht in § 9 SGB IX speziell geregelt. "Behindert" in diesem Sinne ist juristisch übrigens schon derjenige, dessen "körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand" abweicht, einen Schwerbehindertenausweis o.Ä. benötigt man hierzu nicht.

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
07.11.2016, 11:56 Uhr

Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass ein Antrag auf eine Mutter-Kind-Kur, bzw. Vater-Kind-Kur von Gesetzes wegen als genehmigt gilt, wenn die Krankenkasse bei Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) die gesetzlich vorgeschriebene Entscheidungsfrist von 5 Wochen nicht einhält.

§ 13 Absatz 3a Sozialgesetzbuch 5: Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden.

In dem entschiedenen Fall ging der Antrag einer Versicherten auf Genehmigung einer Mutter-Kind-Kur am Freitag, den 01.03.2013 bei der beklagten Krankenkasse ein. Da die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse einholte, hätte sie spätestens Freitag, den 05.04.2013 über den Antrag entscheiden müssen. Da sie ihre Ablehnung aber erst am 08.04.2013 erteilte, galt der Antrag 'automatisch' als genehmigt, so dass das Gericht die Krankenkasse zur Kostenübernahme verurteilte. 201115

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
07.11.2016, 12:24 Uhr

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass Bei Mutter- bzw. Vater-Kind-Maßnahmen die für Rehabilitationsleistungen ansonsten geltende Grundregel, wonach ambulante Leistungen ausgeschöpft sein müssen, bzw. einer stationären Leistung vorgehen ("Ambulant vor Stationär"), unter Berücksichtigung der eindeutigen Gesetzesbegründung keine Anwendung findet.

Gesetzesbegründung Mutter-Kind-Kuren(BT-Drucks. 16/3100, Seite 101): Danach ist es für die Gewährung einer medizinischen Vorsorgemaßnahme für Mütter und Väter nicht erforderlich, dass zunächst die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein müssen. Ist eine Vorsorgemaßnahme für Mütter und Väter medizinisch notwendig und kann das mit der Maßnahme angestrebte Vorsorgeziel nicht mit anderen, ggf. wirtschaftlicheren und zweckmäßigeren Maßnahmen erreicht werden (§ 12), hat sie die Krankenkasse zu erbringen. Die Klarstellung ist erforderlich, weil in der Vergangenheit vielfach Anträge mit dem Hinweis auf nicht ausgeschöpfte ambulante Behandlungsmöglichkeiten abgelehnt wurden.

30412

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
27.01.2020, 12:41 Uhr

Der 1. Senat des Landessozialgerichts Hamburg hat aktuell in einem von mir begleiteten Beschwerdeverfahren eine Krankenkasse im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, eine Mutter-Kind-Maßnahme für meine Mandantin und ihre Kinder zu gewähren. Diese Entscheidung ist rechtlich insbesondere für den sogenannten Anordnungsgrund (dazu siehe letzter Teil des Zitats) von Bedeutung. Nachfolgend der auszugsweise Wortlaut des Beschlusses:

In dem Beschwerdeverfahren … Prozessbevollmächtigter: zu 1-6: Rechtsanwalt David Andreas Köper Dehnhaide 127 22081 Hamburg g e g e n BARMER Zentrum für Krankenhaus / Reha Hammerbrookstraße 92 20097 Hamburg - Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin - 2 hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Hamburg am 21. Januar 2020 durch die Vizepräsidentin des Landessozialgerichts Abayan, den Richter am Landessozialgericht Harms und den Richter am Landessozialgericht Winter beschlossen: Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 21. November 2019 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zu 1 vorläufig und längstens bis zur Bestandskraft des Bescheids der Antragsgegnerin vom … in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … eine Mutter-Kind- Maßnahme nach § 24 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) in Begleitung der Antragsteller/-innen zu 2 bis 6 zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 1 in beiden Rechtszügen. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Gründe: Die am 28. November 2019 eingelegte Beschwerde der Antragsteller/-innen gegen den ihren am 21. Oktober 2019 eingereichten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ablehnenden, ihrem Prozessbevollmächtigten am 21. November 2019 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 21. November 2019 ist insgesamt zulässig (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG und in Bezug auf die Antragstellerin zu 1 auch begründet. Das Sozialgericht hat es insoweit zu Unrecht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung einer Mutter-Kind-Maßnahme nach § 24 Abs. 1 SGB V in Begleitung der in den Jahren 2011 bis 2017 geborenen Antragsteller/-innen zu 2 bis 6 zu verpflichten. Soweit die Antragsteller/-innen zu 2 bis 6 eigene Ansprüche geltend machen, ist der ablehnende Beschluss des Sozialgerichts Hamburg im Ergebnis nicht zu beanstanden, und die Beschwerde hat keinen Erfolg. Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Der durch den beantragten vorläufigen Rechtsschutz zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer 3 vorläufigen Sicherung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der im Hauptsacheverfahren zu überprüfende Bescheid der Antragsgegnerin vom .... in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ..., gegen den am 6. Januar 2020 fristgerecht Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben worden ist (S 18 KR 14/20), mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und die Antragstellerin zu 1 hat einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Gewährung einer medizinischen Vorsorgeleistung in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme nach § 24 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 SGB V. Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte unter den in § 23 Abs. 1 genannten Voraussetzungen Anspruch auf aus medizinischen Gründen erforderliche Vorsorgeleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung, wobei die Leistung in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden kann. Anders als nach § 23 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist es für die Gewährung einer medizinischen Vorsorgemaßnahme für Mütter und Väter nicht erforderlich, dass zunächst die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein müssen (§ 24 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB V; vgl. auch BT-Drs. 16/3100, S. 101; Wiercimok in LPK-SGB V, 5. Aufl. 2016, § 24 Rn. 19 mit weiteren Nachweisen), wobei das grundsätzlich geltende Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V durch diese lex specialis modifiziert wird (Landessozialgericht <LSG Niedersachsen-Bremen – L 4 KR 10/12 B ER, NZS 2012, 905). Gemäß § 23 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln, wenn diese notwendig sind, eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen (Nr. 1), einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken (Nr. 2), Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden (Nr. 3) oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden (Nr. 4). Aus den für die Antragstellerin zu 1 vorgelegten medizinischen Unterlagen ergibt sich, dass diese in ihrer Gesundheit geschwächt und bereits erkrankt ist. So hat die die Antragstellerin zu 1 seit ... 2016 durchgehend ambulant psychotherapeutisch behandelnde Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. ... in der Verordnung vom ... angegeben, dass die Antragstellerin zu 1 an Erschöpfung, Schlafstörung, Reizbarkeit, Infektanfälligkeit und Gelenkschmerzen leide. Vorsorgerelevante Erkrankungen seien eine Somatisierungsstörung, eine Anpassungsstörung und eine chronische Bronchitis. Ergänzend 4 hat Frau Dr. ... in ihrem Attest vom ... das Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode), eines Erschöpfungssyndroms und einer Adipositas bestätigt und u. a. ausgeführt, dass die Überlastung der Antragstellerin im Alltag durch die ambulante Behandlung nicht abgefangen werden könne. Eine Entlastung bei der Betreuung der fünf Kinder würde – so die behandelnde Ärztin – der Antragstellerin zu 1 helfen, sich zu regenerieren und die Ressourcen zu stärken. Dies hat sie in ihrem vom erkennenden Senat angeforderten Befundbericht vom ... bekräftigt und konkretisiert, dass die Antragstellerin zu 1 in den letzten Monaten zunehmend erschöpft, angespannt und seit der Ablehnung der Kur mutlos wirke. Die bislang vital und zupackende Frau habe erheblich an Spannkraft eingebüßt. Sie wirkte bedrückt und angespannt, mache sich Sorgen, sie könne den Bedürfnissen der Kinder nicht mehr in dem Maße wie bisher gerecht werden. Die Herausforderungen in der täglichen Lebensbewältigung mit fünf kleinen Kindern und einem beruflich engagierten und wenig verständnisvollen Partner führten zu Reizbarkeit, Ungeduld und mangelnder Belastbarkeit. In der häuslichen Umgebung seien keine Ruhepausen möglich, ständig herrschte Hektik und unaufschiebbare Aufgaben seien unbedingt und sofort zu erledigen. Der Facharzt für Innere Medizin und Hausarzt der Antragstellerin zu 1 Dr. ... hat in seinem vom Gericht angeforderten Befundbericht vom ... ausgeführt, dass die psychiatrische Vorgeschichte der Antragstellerin zu 1 komplex sei und gekennzeichnet durch eine längere, seit zwölf Jahren jedoch nicht mehr bestehende Medikamentenabhängigkeit, Entzugsbehandlungen sowie zahlreiche psychiatrische Konsultationen. Sie betreue die Kinder aufgrund der intensiven Berufstätigkeit des Ehemannes nahezu alleinerziehend und sei zusätzlich als Pastorin im seelsorgerischen Bereich beschäftigt. Aufgrund der Mehrfachbelastungen mit Familie und Beruf fühle sie sich häufig überfordert und könne aus Zeit- und Energiegründen ihre Erziehungsgrundsätze nicht verfolgen. Es bestünden manifeste psychosomatische Beschwerden wie Schlaflosigkeit, ständiges Grübeln, depressive Erschöpfungssymptome, sozialer Rückzug, Aggressionen, chronische Gelenkschmerzen und schwere asthmatische Beschwerden mit Todesängsten. Im Tagesalltag mit den Kindern gebe es keine freie Minute, die gewinnbringend für sich selbst genutzt werden könnte. Zum Erreichen des Therapieziels sei dringend eine Distanzierung aus dem Umfeld nötig, also im Sinne einer Mutter-Kind-Kur. Sollte diese nicht befürwortet werden, stelle er ärztlicherseits eine schlechte soziale Prognose für Mutter und Kinder. Hieraus wird nach Überzeugung des Senats hinreichend deutlich, dass es dringend einer vorübergehenden Herausnahme der Antragstellerin zu 1 aus ihrem Alltag und der häuslichen Situation bedarf, um eine Verschlimmerung der bestehenden Erkrankungen zu vermeiden und 5 das Entstehen weiterer Krankheiten zu verhüten sowie ihre Gesundheit zu stärken und damit einen Erfolg der seit Jahren laufenden Therapie möglich zu machen. Da die Vorsorgenotwendigkeit insbesondere auch auf einer Überlastung der Antragstellerin zu 1 durch ihre Rolle als faktisch alleinerziehende Mutter von fünf kleinen Kindern beruht, was für den erkennenden Senat ohne weiteres nachvollziehbar ist, ist eine medizinische Vorsorge nach § 24 SGB V indiziert und es kann dahingestellt bleiben, ob § 24 SGB V einen Kausalzusammenhang zwischen familiärer Belastungssituation und den Indikationen nach § 23 SGB V erfordert (dies bejahend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. September 2013 – L 9 KR 312/12 B ER; mit guten Gründen verneinend: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Juni 2012 – L 5 KR 34/12; Sozialgericht Osnabrück, Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2018 – S 34 KR 423/17; alle juris). Bei medizinischen Vorsorgeleistungen für „überlastete“ (so der Ansatz der Genesungsfürsorge seit 1950) Mütter handelt es sich um ein Spezialangebot, dass frauenspezifisch, ganzheitlich und indikationsbezogen ausgerichtet ist, wobei die Therapie sich an dem spezifischen Krankheitsbild und den individuellen Bedürfnissen orientiert und die interdisziplinäre ärztlich-medizinische, physiotherapeutische, psychologische und psychosoziale sowie die (in Mutter-Kind-Maßnahmen) pädagogische Arbeit das ganzheitliche Therapiekonzept sichern. Die Inhalte dieser stationären medizinischen Vorsorgemaßnahmen bestehen demzufolge aus ärztlichen Leistungen, gruppen- und einzeltherapeutischen Maßnahmen, Heilmitteln und gesundheitsfördernden Maßnahmen. Von Bedeutung ist auch die Gemeinschaft mit anderen Frauen. Die hier stattfindenden Gruppenprozesse sind für den Maßnahmeerfolg unerlässlich. So stehen die Patientinnen in einer vergleichbaren Situation und können die in einer solchen Gruppe bestehenden Chancen der gegenseitigen Unterstützung und der Möglichkeit zur Erprobung neuer Verhaltensmuster mithilfe der Sozialtherapie gefördert werden. Ergänzt wird das Konzept durch Gesundheitsschulungen mit Informationen über gesunde Ernährung, die Auswirkungen von Genussmittel- und Medikamentenmissbrauch und der Anleitung, die gewonnenen Erkenntnisse nach der Maßnahme im Alltag umzusetzen. Die durch diese ganzheitliche Therapie gemeinsam bewirkte Stärkung der Gesundheit und des Selbstvertrauens lehrt die Mütter ein gesundheitsbewusstes Verhalten in Bezug auf die Ernährung, den Genussmittelgebrauch, die körperliche Bewegung und die Problembewältigung im psychosozialen Bereich (vgl. Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 09/09, § 24 Rn. 4 ff.; Wiercimok, a.a.O., Rn. 9 f.). Dass diese Form der Vorsorgeleistung vorliegend erforderlich ist, folgt bereits aus den von der behandelnden Psychotherapeutin in der Verordnung vom ... formulierten Vorsorgezielen (Selbstmanagement, Selbstwirksamkeit erhöhen, ebenso Belastbarkeit und 6 Selbstfürsorge) und dem von der Antragstellerin zu 1, der Psychotherapeutin und dem Hausarzt nachvollziehbar geschilderten Umstand, dass die derzeitige häusliche Situation ein „Durchatmen“ als Voraussetzung für gesundheitliche Stärkung zur Verhütung der Verschlimmerung bestehender Erkrankungen und Vermeidung des Entstehens neuer Erkrankungen nicht zulässt. Zu keiner anderen Bewertung führt demgegenüber die vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in zwei Stellungnahmen vertretene und von der Antragsgegnerin zu Eigen gemachte Auffassung, dass bei den genannten Diagnosen ein therapeutischer nachhaltiger Gewinn (Benefit) nicht zu erwarten, die Versorgung der Antragstellerin im Rahmen der vertragsärztlichen Betreuung am Wohnort angemessen und ausreichend sei und gegebenenfalls die derzeitigen therapeutischen Maßnahmen intensiviert und Familienhilfe/Erziehungshilfe in Anspruch genommen werden sollten und dass im Verlauf die Prüfung einer indikationsspezifischen psychosomatischen Rehabilitation nach § 40 SGB V oder die Behandlung in einer Tagesklinik bzw. eine stationäre Krankenhausbehandlung in Betracht komme. Diese Auffassung übersieht zunächst, dass die Ausschöpfung ambulanter Maßnahmen keine Voraussetzung einer Leistung nach § 24 SGB V ist, und verkennt deren Vorsorgecharakter. Darüber hinaus wird nicht berücksichtigt, dass gerade die vorübergehende Herausnahme aus dem häuslichen Umfeld nach den schlüssigen ärztlichen Ausführungen Voraussetzung für die Erreichung des Vorsorgezwecks ist. In keiner Weise nachvollziehbar sind schließlich die Ausführungen des MDK, wonach Belastungen im familiären Umfeld, die die vorliegenden Gesundheitsprobleme begründeten oder eine Verbesserung nicht zuließen, nicht vorlägen. Eine derartige Belastung liegt bereits in dem Umstand, dass fünf kleine Kinder ohne wesentliche Unterstützung und neben weiteren Belastungen zu betreuen und zu erziehen sind und die Mutter gesundheitliche Probleme hat. Der Anspruch der Antragstellerin zu 1 ist in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme zu erfüllen, weil nach deren durch die ärztlichen Angaben glaubhaft gemachten und durch die Antragsgegnerin nicht substantiiert bestrittenen Vortrag die in den Jahren 2011 bis 2017 geborenen Antragsteller/-innen zu 2 bis 6 aus psychosozialen und praktischen Gründen – der Kindsvater kann die Betreuung nicht leisten, andere geeignete Personen sind nicht ersichtlich (vgl. zu diesem Aspekt: LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O.) – der Betreuung durch die Antragstellerin zu 1 bedürfen und die Maßnahme ohne Begleitung durch die Kinder dementsprechend nicht durchgeführt werden könnte. Bei dem Anspruch auf Begleitung durch die Antragsteller/-innen zu 2 bis 6, die – soweit erkennbar – selbst nicht die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 SGB V erfüllen, handelt es sich 7 jedoch lediglich um einen unselbstständigen Teil des einheitlichen Gesamtanspruchs der Antragstellerin zu 1 auf medizinische Vorsorge, was sich schon aus dem klaren Wortlaut des § 24 SGB V ergibt (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 28. Mai 2019 – B1 KR 4/18 R und B1 KR 14/18 R, juris), sodass auch nur die Antragstellerin zu 1 mit ihrer Beschwerde durchdringen kann. Der ebenfalls glaubhaft gemachte Anordnungsgrund beruht nicht nur darauf, dass der Antragstellerin zu 1 nach den Ausführungen insbesondere von Frau Dr. ... eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit möglicherweise notwendig werdender stationärer Klinikbehandlung droht, wenn sich nicht bald Hoffnung auf Entlastung anbahnt, wodurch die in den letzten Jahren in der Psychotherapie erreichten Fortschritte infrage gestellt würden und mit schwersten Turbulenzen im Hinblick auf die familiäre Situation zu rechnen wäre. Ebenso wenig beruht er nur darauf, dass ihr und ihren Kindern durch Dr. ... eine schlechte soziale Prognose gestellt wird, wenn die dringende Distanzierung aus dem Umfeld nicht erfolgt. Die durch die einstweilige Anordnung abzuwendenden wesentlichen Nachteile bestehen vielmehr gerade darin, dass der Anspruch auf eine Vorsorgeleistung faktisch unterzugehen drohte, wenn das Hauptsacheverfahren mit seiner zu erwartenden Dauer von mehreren Monaten bis Jahren abgewartet werden würde, weil durch die ärztlicherseits beschriebene, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Verschlechterung des Gesundheitszustandes insbesondere der Antragstellerin zu 1 und der familiären Situation in diesem Zeitraum eine Vorsorge, die gerade dies verhindern soll, obsolet würde. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG). gez. Abayan gez.Winter gez. Harms


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Veröffentlicht am

10.05.2011

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

Hinweis

Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.

Urheber

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