Das Hessische Landessozialgericht hat in einem aktuellen Urteil (29.04.2010) entschieden, dass von der Krankenkasse übersandte Mitgliedsbescheinigungen rechtlich als Verwaltungsakt anzusehen sind. Die Krankenkasse ist an die Bestätigung der Mitgliedschaft gebunden. Der Versicherte darf darauf vertrauen.
In dem entschiedenen Fall hatte eine Frau von der AOK Hessen eine Mitgliedsbescheinigung sowie ein Begleitschreiben ausgehändigt bekommen, in dem es hieß: "Sehr geehrte Frau A., vielen Dank, dass Sie der AOK Hessen ihr Vertrauen schenken, damit haben Sie für Ihre Gesundheit einen starken Partner an ihrer Seite. Das zeigt sich ganz besonders dann, wenn sie ihre Arbeitsstelle wechseln oder neue Arbeit suchen. Es liegt uns besonders am Herzen, dass das Arbeitsamt sie reibungslos bei der AOK Hessen anlegen kann - einfach, schnell und unkompliziert. Deshalb erhalten Sie von uns heute ihre fertig ausgefüllt Mitgliedsbescheinigung. Denn wir möchten, dass sie nicht mit "Schreibkram" belastet sind und sich bei uns rundum wohl fühlen...".
Später stellte sich heraus, dass die Betroffene gar nicht hätte in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert werden können, weil sie bereits das 55. Lebensjahr vollendet hatte und in den vorangegangenen 5 Jahren kein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern privat versichert gewesen war. Die AOK teilte der betroffenen Frau daher später per Bescheid mit, dass sie nicht versichert sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Betroffene Widerspruch und anschließend Klage.
In der Berufungsinstanz stellte das Landessozialgericht klar, dass die seinerzeit ausgestellte Mitgliedsbescheinigung einen Verwaltungsakt darstelle, an den sich die Krankenkasse halten müsse. Die Krankenkasse habe damit bindend entschieden, dass die Klägerin als Mitglied aufgenommen werde. Die einmal ausgestellte Mitgliedsbescheinigung sei sogar dann bindend, wenn sich nachträglich herausstelle, dass diese aus rechtlichen Gründen gar nicht hätte ausgestellt werden dürfen. Derjenige, der an eine Krankenkasse zur Aufnahme als Mitglied herantrete und demgegenüber die Krankenkasse den Anschein erwecke, die Kasse stehe als starker Partner an seiner Seite, dürfe regelmäßig davon ausgehen, Mitglied werden zu können.
Die Entscheidung des Landessozialgerichts ist zu begrüßen, denn sie stärkt die Rechte der Versicherten. Die Krankenkassen werden beim Wort genommen. Es kommt nämlich in der Praxis nicht selten vor, dass Kassen, nachdem sie ein vermeintlich neues Mitglied freudig begrüßt haben, einige Zeit später (beispielsweise vor dem Hintergrund einer schwerwiegenden Erkrankung) kehrt machen und aus formalrechtlichen Gründen die Mitgliedschaft bestreiten.
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Wenn Sie Fragen zu diesem Themenkreis haben, kontaktieren Sie mich gerne. Ich biete Ihnen Beratung und Vertretung im Widerspruchs- und Klageverfahren gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung.
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Veröffentlicht am
16.06.2011
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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08.08.2013, 15:13 Uhr
Nachtrag: Das Bundessozialgericht hat mir Urteil vom 27.06.2012 in der Revision entschieden, dass die nach erfolgter Krankenkassenwahl ausgestellte Mitgliedsbescheinigung einer Krankenkasse regelmäßig keinen Verwaltungsakt über die Versicherungspflicht darstellt.
24.04.2015, 12:02 Uhr
Lieber Fragestelller: Das bedeutet, dass die Mitgliedsbescheinigung der Krankenkasse nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts rechtlich leider nichts wert ist. Die Frage, ob man tatsächlich in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, beurteilt sich nach den Tatbeständen im Sozialgesetzbuch 5 (vor allem § 5), nicht danach, ob man eine Mitgliedsbescheinigung erhalten hat. D.h. eine Einzelfallprüfung ist immer erforderlich. MfG RA Köper
23.04.2015, 19:40 Uhr
Was heißt das im Klarext? Ist damit das oben genannte Urteil hinfällig, oder kann man sich nach wie vor auf die einmal erteilte Mitgliedsbestätigung stützen, d.h.: ist man Mitglied der Krankenkasse oder nicht? Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage!