Das Bundessozialgericht hat in einer grundlegenden Entscheidung dargelegt, dass ausnahmsweise auch ein rückwirkender Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht, wenn dem Leistungsberechtigten dem Grunde nach ein solcher Anspruch zusteht, er die Leistung jedoch nur deshalb nicht erhält, weil er - anstelle dessen - einen Antrag auf Arbeitslosengeld bzw. dessen Überprüfung bei der Arbeitsagentur gestellt hat.

Der 1965 geborene Kläger wurde von seinem bisherigen Arbeitgeber gekündigt. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Gleichzeitig beantragte er Arbeitslosengeld bei der Arbeitsagentur und erhielt diese ab dem darauf folgenden Tag. Arbeitlosengeld wird hierbei abhängig vom Alter des Arbeitnehmers und der Dauer der Beschäftigung zwischen sechs Monaten und mittlerweile zwei Jahren gezahlt. Nach Ablauf des für ihn maßgeblichen Zeitraums wurde der Kläger wiederum bei der Arbeitsagentur vorstellig und beantragte im Wege der Überprüfung des bestehenden Bescheids nach § 44 Sozialgesetzbuch 10 weitere Leistungen auch für die Zukunft. Schließlich befinde sich das Verfahren vor dem Arbeitsgericht mittlerweile in der zweiten Instanz und sei noch immer noch abgeschlossen. Dieser Antrag wurde begründeterweise abgelehnt. Erst einige Monate später beantragte er sodann Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2 (Hartz 4).

Da Grundsicherungsleistungen grundsätzlich erst ab Antrag gezahlt werden, lehnte die ARGE rückwirkende Leistungen ab. Hiergegen wandte sich der Kläger. Nachdem er vor den Instanzgerichten unterlegen war, gab ihm das Bundessozialgericht in Kassel Recht.

Die Bundesrichter stellten maßgeblich auf die Vorschrift des § 28 Sozialgesetzbuch 10 ab. Diese Vorschrift bestimme, dass ein Antrag auf eine Sozialleistung bis zu einem Jahr zurückwirke, wenn der Leistungsberechtigte von der Stellung eines Antrags auf diese Sozialleistung deshalb abgesehen habe, weil er einen Antrag auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht habe, die ihm "versagt" worden wäre.

Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 28 Sozialgesetzbuch 10 auch insofern, als er zunächst einen Anspruch auf eine andere Sozialleistung, nämlich auf Arbeitslosengeld, geltend gemacht habe. Dagegen spreche nicht, dass der Kläger für den Zeitraum ab Ende der Bewilligungszeit keinen (Neu-)Antrag auf Gewährung von Alg gestellt habe, der sodann abgelehnt worden sei, sondern seinen Leistungsanspruch ab dem genannten Zeitpunkt im Wege eines Antrags auf Überprüfung des ursprünglichen Bewilligungsbescheids gemäß im Hinblick auf die bestandskräftig festgesetzte Anspruchsdauer verfolgt habe. Ein solcher Fall, in dem im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Bewilligung einer laufenden Sozialleistung begehrt werde, sei jedenfalls vom Anwendungsbereich der Norm umfasst.

Für die Anwendbarkei spreche auch die Regelungsabsicht des damaligen Gesetzgebers. In dem Abschlussbericht zur Einfügung der Vorschrift hieße es, in Zukunft sollten dann Rechtsnachteile vermieden werden, wenn ein Berechtigter in Erwartung eines positiven Bescheides einen Antrag auf andere Sozialleistungen nicht gestellt habe. Der Wunsch, Mehrfachprüfungen zu vermeiden sowie den Leistungsberechtigten in einem gegliederten Sozialleistungssystem insoweit zu schützen, als seinem Anspruch auf eine weitere Sozialleistung ein erst später gestellter Antrag nicht entgegengehalten werde, zeige, dass § 28 Sozialgesetzbuch 10 auch in Fällen wie dem vorliegenden gelten soll.

Kommentar: Dem Urteil ist zuzustimmen. Die ausführlichen Darstellungen des Gerichts zur Gesetzesbegründung und dem Regelungszweck überzeugen. Zu beachten bleibt, dass diese Entscheidung nicht nur im Rahmen des Grundsicherungsrechts, sondern in allen Sozialleistungsbereichen Bedeutung beikommt. Kontaktieren Sie mich gerne in Ihrem Fall.

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Veröffentlicht am

20.12.2012

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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