Das Landessozialgericht Berlin hat am 28.11.2014 entschieden, dass das Merkzeichen G auch dann zu erteilen sein kann, wenn die Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/ oder der Lendenwirbelsäule für sich genommen einen GdB von unter 50 haben, sofern die vorliegende Funktionsstörung mit einer Teilversteifung des Kniegelenks in ungünstiger Stellung gleichzusetzen ist.
Der 1950 geborene Kläger beantragte beim Versorgungsamt einen Schwerbehindertenausweis und die Zuerkennung des sog. Merkzeichens „G“, wegen eines Kniegelenkersatzes (links), einer Lungenfunktionseinschränkung sowie Bluthochdrucks.
Während des Verfahrens verschlimmerten sich seine Leiden, so dass ein Ärztliches Gutachten im November 2012 zu folgenden Einschätzungen der Funktionsbeeinträchtigungen kam: - Kniegelenkersatz links mit anhaltender Reizkniebildung (Einzel-GdB von 40), - Anfallsleiden nach zweimaligem Hirninsult (Einzel-GdB von 20), - Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB von 20), - hypertensive Herzerkrankung mit paroxysmalem Vorhofflimmern (Einzel-GdB von 20).
Der Sachverständige führte dazu aus, dass bei dem Kläger eine wesentliche Gang- und Standunsicherheit durch Minderbelastung des linken Kniegelenks bestehe, so dass ihm ortsübliche Wegstrecken von 2000 m, die innerhalb von 30 Minuten zurückzulegen seien, nicht zugemutet werden könnten. Die Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk nach mehrfachen großen operativen Eingriffen sei einer Teilversteifung gleichzusetzen, die mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten sei.
Der Beklagte stellte daraufhin mit Teilanerkenntnis einen Gesamt-GdB von 40 ab dem 01.08.2009 und einen Gesamt-GdB von 50 ab dem 23.03.2010 fest.
Der Kläger führte daher die Klage nur noch hinsichtlich der Anerkennung des Merkzeichens „G“ fort.
Diese Klage wies das Sozialgericht mit Urteil vom 29. Januar 2013 ab. Zur Begründung führte es aus, bei dem Kläger lägen keine Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule vor, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingten.
Daraufhin reichte der Kläger die Berufung ein.
Auch die erneut eingeholte ärztlichen Stellungnahme kam zu dem Ergebnis, dass die Implantation, Explantation und Reimplantation der Knie-TEP bei Empyembildung mit einer Einbuße der Gang- und Standfähigkeit verbunden sei, die aufgrund ihrer orthostatischen Auswirkungen einer Teilversteifung in einer ungünstigen Stellung gleichzusetzen sei.
Das Landessozialgericht Berlin stellte in seinem Urteil vom 28.11.2014 fest, dass der Kläger Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „G“ ab 20. April 2010 hat.
Dazu führte es aus, dass derjenige in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sei, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt seien, käme es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden könnten. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gälte eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt werde.
Weiterhin sei erforderlich, dass Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sei und diese Behinderung dessen Gehvermögen einschränken müsse (sog. „doppelte Kausalität“).
Diese doppelte Kausalität würde im konkreten Fall vorliegen, da sich - nach überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen – die Minderbelastbarkeit des linken Kniegelenks auf dessen Gehfähigkeit durch wesentliche Gang- und Standunsicherheit negativ auswirke und mit einer Teilversteifung in einer ungünstigen Stellung gleichzusetzen sei. Auch bei einem Einzel-GdB von 40 sei daher das Merkzeichen G zu erteilen.
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Veröffentlicht am
14.01.2015
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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21.01.2021, 11:00 Uhr
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 11.08.2015 (B 9 SB 1/14 R) entschieden:
19.04.2022, 15:25 Uhr
Auch das Landessozialgericht für das Saarland hat entschieden, dass auch bei einem Teil-GdB von unter 40 für die unteren Gliedmaßen die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" erfüllt sein können: