Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat entschieden, dass eine Kostenerstattung für eine stationäre Behandlung wegen einer psychischen Erkrankung in einer psychosomatischen Klinik auch dann als notwendig angesehen werden kann, wenn ambulante Therapiemöglichkeiten zuvor nicht ausgeschöpft worden.
In dem entschiedenen Fall ging es um eine Beamtin, die an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung, einer dekompensierten Neurasthenie mit einem kognitiven und emotionalen Überforderungssyndrom, litt.
Die behandelnde Fachärztin stellte der Klägerin ein Attest für eine stationäre psychosomatische Krankenhausbehandlung zur Vorlage bei der privaten Krankenversicherung aus. An Diagnosen waren aufgeführt: Schwere depressive Episode, Ängste, psycho-physisches Erschöpfungssyndrom.
Zusätzlich verfasste ein weiterer Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ein Schreiben an die private Krankenversicherung der Klägerin, indem er die Notwendigkeit einer stationär-psychosomatischen Therapie bestätigte.
Auch ein dritter Facharzt (Neurologie und Psychiatrie) bescheinigte, dass sich die Klägerin in einer schweren depressiven Krise mit Angstzuständen und wechselnden körperlichen Beschwerden befinde, weswegen eine stationäre Psychotherapie dringend indiziert sei.
Schließlich bescheinigte der Amtsarzt des Dienstherrn der Klägerin, es bestünde bei der Klägerin seit mehreren Jahren ein körperlicher und psychischer Erschöpfungszustand. Wegen der Gefahr einer Chronifizierung und einer dauerhaften Dienstunfähigkeit sei die Durchführung einer psychosomatischen Sanatoriumskur unbedingt erforderlich.
Die private Krankenversicherung lehnte dennoch eine Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung mit der Begründung ab, diese sei „medizinisch nicht notwendig“. Die vorgelegten ärztlichen Unterlagen reichten für die Begründung einer medizinischen Notwendigkeit nicht aus. Weiter hieß es, "mit Blick auf die Chronizität des Verlaufs“ könne „die medizinische Indikation“ für eine stationäre psychiatrische-psychotherapeutische Behandlung „nicht nachvollzogen werden“ (vereinfachend ausgedrückt: eine stationäre Behandlung hilft Ihnen jetzt auch nicht mehr).
Die Klägerin begab sich dennoch in stationäre psychosomatische Behandlung und verklagte ihre private Krankenversicherung auf Zahlung der noch offener Kosten in Höhe von 7.873,41 € (die Beihilfe hatte schon einen Teil übernommen).
Nachdem die Klage in der ersten Instanz abgewiesen worden war, verurteilte das Oberlandesgericht die beklagte Versicherung in der Berufungsinstanz zur Zahlung.
Das Gericht führte aus, nach gefestigter Rechtsprechung sei eine Heilbehandlung medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen.
Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ergab, dass der im Zeitpunkt der Aufnahme in die Klinik vorliegende Befund einer schweren depressiven Episode die stationäre Behandlung gerechtfertigt hätten. Das Gericht führte aus:
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. Mai 2012 – 6 U 42/09: So hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass bei psychischen Erkrankungen das Problem bestehe, dass jeder Behandler eine Behandlung beginne, jedoch keiner sie beende. Es gebe auch keinen Grundsatz, der dahingehend laute, dass erst eine ambulante Therapie durchgeführt werden müsse, bevor eine stationäre Behandlung als notwendig angesehen werden könne. So müsse "der Karren nicht erst in den Dreck gefahren werden", bevor der Patient stationär behandelt werden könne. Zeigten - wie hier - ambulante Therapien über viele Jahre keinen Erfolg, sei vielmehr eine stationäre Therapie sinnvoll. In klinischer Umgebung könnten Therapien durchgeführt werden, die der Patient allein zu Hause nicht selbst bewerkstelligen könne. Deshalb sei auch dann eine stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung als medizinisch indiziert anzusehen, wenn die ambulanten Therapiemöglichkeiten nicht erschöpft seien. Dem zunächst eingeholten Gutachten des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. S…, welcher eine stationäre Behandlung zwar als geeignet, jedoch nicht als erforderlich eingeschätzt hat, folgt der Senat dagegen nicht. Sein Gutachten weist handwerkliche Mängel auf, so dass es nicht zur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung gemacht werden kann.
Bei der erforderlichen rückwirkenden Beurteilung des Sachverhalts zum Zeitpunkt des Beginns der stationären Behandlung, so das Gericht weiter, sei maßgeblich auf den Aufnahmebefund des Krankenhauses und dessen Plausibilität anhand der Krankengeschichte abzustellen. Dieser habe hier eine stationäre Behandlung gerechtfertigt.
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Foto: ©istockphoto.com/Jaap Hart
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Veröffentlicht am
22.07.2013
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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