Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen hatte 2010 über die Berufsunfähigkeit eines Justizvollzugsbeamten zu entscheiden, der nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einem Häftling an einer schweren depressiven Episode und posttraumatischen Belastungsstörung erkrankte.
Der Kläger war als Justizvollzugsbeamter tätig. Er litt an diversen Erkrankungen. Im Jahr 1988 ereilte ihn eine Stimmbandlähmung, seit dem Jahr 2000 litt er an Rückenproblemen und Fertilitätsstörungen. Hinzu traten ein HWS-Syndrom und eine depressive Episode, erhebliche Rückenprobleme sowie die Feststellung, dass er an Morbus Scheuermann erkrankt war. Diese Erkrankungen gab er allesamt korrekt im entsprechenden Vordruck zur Aufnahme von Versicherungsbeziehungen wegen einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu seinem künftigen Versicherer an. Nach Antragstellung, aber noch vor Versicherungsbeginn, kam es jedoch zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und einem drogenabhängigen Häftling, bei der er sich blutende Verletzungen zuzog und befürchtete, nun eine HIV-Erkrankung davontragen zu müssen.
Auch wenn eine Infektion nicht festgestellt werden konnte, bekam der Kläger aufgrund des Angriffs zunehmende psychische Probleme, aufgrund derer er sich zunächst in Behandlung begeben musste und schließlich auch ohne festgestellte HIV-Erkrankung nicht mehr in der Lage war, seinen Beruf auszuüben.
Der Beamte beantragte bei der Versicherung darauf hin Leistungen wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 900 Euro monatlich sowie die Feststellung, dass er keine weiteren Beiträge mehr zu zahlen habe. Die Versicherung weigerte sich jedoch unter dem Hinweis, der auslösende Moment habe schon vor Versicherungsbeginn gelegen. Daraufhin erhob der Kläger Klage und bekam letztlich vor dem Oberlandesgericht Recht.
Nach den maßgeblichen Vorschriften, so das Gericht, liege Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen seien, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande sei, seiner vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt ausgeübten Tätigkeit nachzugehen. Differenziert werden müsse dabei für die Leistungsprüfung zwischen Krankheits- und Berufsunfähigkeitseintritt. Es komme deshalb für die Bestimmung des Versicherungsfalls nicht auf den Zeitpunkt des Eintritts der Ursache (hier also der psychischen Beschwerden des Klägers), sondern auf den Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit an, d.h. den Zeitpunkt, ab welchem der Versicherungsnehmer aus gesundheitlichen Gründen in der bedingungsgemäßen Weise unfähig ist, seinen Beruf weiterhin auszuüben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof, auf die Bezug genommen wurde, sei dies dann der Fall, wenn nach sachverständiger Einschätzung ein gut ausgebildeter, wohl informierter und sorgfältig behandelnder Arzt nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft erstmals einen Zustand des Versicherungsnehmers als gegeben angesehen hätte, der keine Besserung erwarten ließ.
Die Versicherung wurde schließlich erst- und zweitinstanzlich zur Leistung verurteilt.
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Foto: © istockphoto.com/Jörg Lange
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Veröffentlicht am
29.08.2012
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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