Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat im November 2013 entschieden, dass das "Nachschieben" neuer Krankheiten in einem laufenden Gerichtsverfahren über eine Berufsunfähigkeitsrente kaum möglich ist. Die Geltendmachung einer neuen Krankheit in einem laufenden Prozess stellt eine "Klageänderung" dar.
Die Klägerin war in verschiedenen Berufen tätig. In den 1970er und 80er Jahren arbeitete sie als Bauzeichnerin, Lagerarbeiterin, Kellnerin und Sachbearbeiterin, zwischen 1991 und 2000 wieder als Kellnerin. Im letztgenannten Beruf war sie auf 400 €-Basis mit 15 Arbeitsstunden in der Woche, verteilt auf zwei Arbeitstage, beschäftigt. Von 2000 bis 2009 war sie im Konstruktionsbüro ihres Ehemannes angestellt, wiederum mit 15 Wochenstunden und zu einem Entgelt von 400 €. Dort übernahm sie Reinigungstätigkeiten sowie kleinere Botengänge und versorgte Kunden und Geschäftspartner mit Kaffee, Getränken und Gebäck.
Die Klägerin leidet seit ihrer Kindheit an einer rechtskonvexen Lumbalskoliose, welche sich seit 1997 durch Rückenschmerzen bemerkbar machte. Auf Rat ihres Orthopäden ließ sich die Klägerin im Dezember 2008 operieren: dabei wurden zwei Drittel der Wirbelsäule mit 18 Titanschrauben und zwei jeweils ca. 50 cm langen Titanstäben aufgerichtet und stabilisiert. Im Juni 2009 zeigte die Klägerin den Eintritt des Versicherungsfalls bei der beklagten Berufsunfähigkeitsversicherung an.
Dabei stellte sie die Feststellung der Berufsunfähigkeit auf den Beruf der Kellnerin ab, da ihrer Ansicht nach, der Wechsel zu der Aushilfstätigkeit im Büro ihres Ehemannes ausschließlich leidensbedingt erfolgt sei. Zudem sei eine Weiterarbeit nur möglich gewesen, da ihr Ehemann als Arbeitgeber größte Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand genommen habe. Unter "normalen Arbeitsmarktbedingungen" wäre sie nicht mehr einsetzbar gewesen.
Das Landgericht Saarbrücken wies die Klage ab, da das zum Beweis geforderte orthopädische Gutachten die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit im Beruf der Bürohilfskraft für die Klägerin verneinte.
Die Klägerin legte dagegen Berufung ein und stellte einen Hilfsantrag, wegen einer hinzugekommenen Herzerkrankung.
Das Oberlandesgericht Saarbrücken wies auch die Berufung zurück. Es führte dazu aus, dass der zuletzt ausgeübte Beruf der Klägerin der einer Bürohilfskraft im Unternehmen ihres Ehemanns und nicht der bis in das Jahr 2000 hinein ausgeübte Beruf einer - geringfügig beschäftigten – Kellnerin gewesen sei. Je länger die Klägerin nach dem Auftreten eines Leidens im neuen Beruf gearbeitet habe und je klarer ihr gewesen sein musste, dass Berufsunfähigkeit im alten Beruf eingetreten sei, desto näher läge es, nunmehr auf den neuen Beruf abzustellen. Die gegen Berufsunfähigkeit versicherte Person müsse sich, wenn - wie hier - die Versicherungsbedingungen eine abstrakte Verweisbarkeit vorsehen, auf solche Tätigkeiten verweisen lassen, für deren Ausübung sie über die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügt und sie ein Einkommen erzielen kann, das ihrem früheren vergleichbar ist.
Die von der Klägerin erstmals in zweiter Instanz aufgestellte Behauptung, inzwischen seien die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit auch aus kardiologischen Gründen gegeben, bedürfe keiner weiteren Klärung. Der auf sie bezogene Hilfsantrag sei unzulässig gestellt worden, so dass er nicht zu berücksichtigen sei.
Während des Rechtsstreits neu hinzugetretene gesundheitliche Beeinträchtigungen, aus denen (allein oder zusammen mit den früher schon dargestellten) Berufsunfähigkeit folgen solle, würden den Streitgegenstand verändern, weil sie den Anspruch auf einen veränderten Sachverhalt stützen würden. Ob sie zu beachten seien, hänge davon ab, ob eine Klageänderung zulässig sei. Dies sei gemäß § 533 Zivilprozessordnung in der Berufungsinstanz nur dann zulässig, wenn der Gegner - also die Versicherung - einwillige oder das Gericht dies für sachdienlich hät. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Insbesondere habe die beklagte Versicherung der Klageänderung widersprochen.
HINWEIS: Wenn in einem schon laufenden Gerichtsverfahren über eine Berufsunfähigkeitsrente eine neue Krankheit auftritt, die zur Berufsunfähigkeit führen kann, müssen vor dem Versuch der Einbeziehung in den laufenden Prozess auch erst die medizinischen Unterlagen der Versicherung zugeleitet werden mit der Bitte um Prüfung, ob sich aus dieser neuen Krankheit eine Berufsunfähigkeit ergibt. Erst wenn die Versicherung diesen neuen Antrag ablehnt oder nicht innerhalb gesetzter Frist reagiert, kann eine Klageänderung oder -erweiterung vorgenommen werden.
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Veröffentlicht am
17.04.2015
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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