Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat einer Schlaganfall-Patientin die Versorgung mit einem Elektroantrieb für ihren Rollstuhl zugesprochen. Dabei wies das Gericht die Argumentation der Krankenkasse zurück, die Antragstellerin könne ein solches Modell aufgrund mangelnder Fahrtüchtigkeit gar nicht adäquat betreiben.
Die Antragstellerin erhält nach einem Schlaganfall mit Multiinfarkt-Demenz Leistungen der Pflegekasse nach der Pflegestufe II. Das Landesverwaltungsamt stellte bei ihr einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die Merkzeichen "H" (Hilflos) und "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) fest. Als Hilfsmittel erhielt sie von ihrer Krankenkasse als Antragsgegnerin einen Faltrollstuhl und einen Rollator. Ihre Ärztin verordnete ihr einen sog. Elektro-Antrieb für den Rollstuhl. Der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) äußerte wegen der Diagnose jedoch Bedenken, ob die Antragstellerin die für einen solchen Antrieb erforderliche Fahrtauglichkeit habe. Daraufhin holte die Antragsgegnerin einen Befundbericht ihres behandelnden Arztes ein, der eine Demenz, eine schlaganfallbedingte Kraftminderung, ein Diabetes mellitus, eine Hypertonie sowie eine chronische Niereninsuffizienz schilderte. Neben einer Kraftminderung der rechten Hand sowie einer gestörten Feinmotorik sei auch der Gang unsicher. In der Wohnung laufe die Antragstellerin mit Rollator und außerhalb müsse sie mit dem Rollstuhl gefahren werden. Sie könne nur unsicher und wenige Meter laufen.
Daraufhin lehnt die Krankenkasse eine Versorgung letztlich ab. Hiergegen richteten sich Widerspruch und Klage sowie der zunächst vor dem Sozialgericht gestellte Antrag auf einstweilige Anordnung. Die Klägerin erhielt hierbei letztlich durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Recht.
Wegen der hohen grundrechtlichen Bedeutung der selbstständigen Mobilität könne es der Antragstellerin nicht zugemutet werden, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache auf den Elektro-Antrieb für ihren Faltrollstuhl zu warten. Ohne die Nutzung des begehrten Hilfsmittels könne sie ihren Rollstuhl in der häuslichen Umgebung nicht einmal drehen, geschweige denn ein Zimmer verlassen, ohne auf die jeweilige Hilfsperson angewiesen zu sein. Zur Milderung dieser Abhängigkeit von der Hilfsperson sichere nur der Elektro-Antrieb ihr den "Rest" einer noch verbliebenen eigenständigen Bewegungsfreiheit. Die dagegen von der Antragsgegnerin vorgebrachten Bedenken seien zumindest für den unmittelbaren Hausbereich allenfalls als abstrakte Gefahrenlage anzusehen und wegen des unübersehbaren Grundrechtsbezugs zu vernachlässigen. So konnte die Antragstellerin den Elektro-Antrieb im Haus problemlos bedienen. Konkrete Lebens- oder Leibesgefahren durch die Nutzung des Hilfsmittels im Haus seien weder bekannt noch vorgetragen worden.
Mögliche Kollisionen mit Möbeln oder Inventar könnten vernachlässigt bleiben. Es obliege allein der grundrechtlich geschützten Eigenverantwortung der Antragstellerin, diese möglichen und vielleicht für sie auch körperlich schmerzlichen Restrisiken beim Fahren des Elektro-Rollstuhls im Haus selbst einzuschätzen und ggf. einzugehen. Für den Außenbereich ließen sich durch das abnehmbare Bedienteil der funkgesteuerten Lenkung praktisch alle Risiken kontrollieren, die von der Hilfsperson zu tragen wären.
Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidung in der Hauptsache genauso ergeht. Die Kosten des Verfahrens trägt die Krankenkasse.
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Veröffentlicht am
12.12.2013
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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03.05.2022, 12:43 Uhr
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat eine lesenswerte Eilentscheidung zur Hilfsmittelversorgung getroffen. Danach müssen Hilfsantriebe für Rollstühle zur Verfügung gestellt werden, die es den Versicherten erlauben, sich selbst ohne fremde Hilfe im Wohnumfeld zu bewegen: