Soweit ein Therapierad dem drohenden Verlust der Gehfähigkeit vorbeugt, sind die Kosten für dieses Hilfsmittel von der gesetzlichen Krankenkasse zu übernehmen. Dies entschied in einem am 23.03.2010 veröffentlichten Urteil der 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts.
Im konkreten Fall klagte eine 44-jährige Frau, die seit ihrer Geburt an einer Tetraspastik leidet. Die halbtags berufstätige Frau benutzt seit ihrem 16. Lebensjahr zur Ergänzung der Krankengymnastik ein Behindertendreirad. Das Dreirad ersetzt zwar den Rollstuhl nicht vollständig. Durch das tägliche Training konnte die Frau aus dem Landkreis Marburg bislang ihre Gehfähigkeit jedoch erhalten. Das ihr im Jahr 1995 von der Krankenkasse gewährte neue Therapierad war aufgrund der intensiven Nutzung im Jahr 2007 nicht mehr brauchbar. Die gehbehinderte Frau beantragte daher bei ihrer Krankenkasse die Übernahme der Kosten in Höhe von ca. 2.300 € für eine Ersatzbeschaffung.
Diese lehnte jedoch ab. Zur Sicherung der Mobilität, so die Krankenkasse in ihrer Begründung, stehe der Klägerin bereits ein Rollstuhl zur Verfügung. Im Übrigen sei Radfahren kein Grundbedürfnis, das bei behinderten Erwachsenen von den Krankenkassen sicherzustellen sei. Zur Minderung der Spastiken stünden andere Behandlungsmethoden zur Verfügungen. Anstelle des Therapierades könne die Klägerin auch ein Heimtrainer nutzen. Die Frau vertrat hingegen die Auffassung, dass das Behindertendreirad in ihrem Fall für den Erhalt ihrer geminderten Gehfähigkeit notwendig sei. Stehe ihr kein Dreirad zur Verfügung, werde sie in den Rollstuhl „verbannt“.
Die Richter beider Instanzen gaben der Klägerin Recht. Zwar müssten gesetzliche Krankenkassen behinderten Menschen nicht das Fahrradfahren ermöglichen. Vielmehr obliege den Krankenkassen allein die medizinische Rehabilitation. Hierzu gehöre aber auch, einer drohenden Behinderung – hier dem Verlust der Gehfähigkeit – vorzubeugen. Krankengymnastik sei – so die Richter unter Bezugnahme auf das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten – bei der Klägerin nicht ausreichend. Durch das Training mit dem Therapierad erreiche die Klägerin, die nur wenige 100 m gehen könne, einen Muskelaufbau, der eine langsamere Ermüdbarkeit bewirke. Die Koordination werde verbessert, wodurch eine Minderung der Sturzgefährdung erreicht werde. Die vermehrte Durchblutung mindere die Spastik.
(AZ L 8 KR 311/08 – Die Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil wird unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de ins Internet eingestellt.)
Quelle: Pressemitteilung des Hessischen Landessozialgerichts vom 23.03.2010.
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Veröffentlicht am
29.03.2010
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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