In der Arzneimittelversorgung sind Fälle denkbar, in denen bei höherpreisigen Arzneimitteln, die einer Festbetragsgruppe zugehören, eine Verweisung des Versicherten auf den Festbetrag unzulässig ist. Dies hat die 13. Kammer des Sozialgerichts Aachen unter dem Vorsitz von Richter am Sozialgericht Ulrich Irmen in einer Entscheidung vom 16.11.2010 (S 13 KR 170/10) jetzt für das Arzneimittel Alvesco® festgestellt.
Durch das Gesundheitsreformgesetz hat der Gesetzgeber seit 1989 die Möglichkeit geschaffen, bestimmte Arzneimittel bzw. Wirkstoffe in Gruppen zusammenzufassen und für diese Gruppen Festbeträge festzusetzen. Wird einem gesetzlich Versicherten ein Medikament aus einer solchen Gruppe verordnet, so sind die gesetzlichen Krankenkassen nur zur Zahlung des jeweils bestimmten Festbetrages verpflichtet. Die Mehrkosten des Apothekenverkaufspreises zum Festbetrag sind dann durch den Versicherten zu tragen. Durch diese Regelung, deren grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2002 bestätigt hat, sollten die Kosten für die Arzneimittelversorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) reduziert werden.
In dem nun ergangenen Urteil hat das Sozialgericht jedoch festgestellt, dass Festbetragsbegrenzungen unzulässig sein können. Geklagt hatte ein Mann, der aufgrund Bronchialasthmas seit 2005 mit diesem Medikament behandelt wird. Alvesco® enthält den Wirkstoff Ciclesonid. Dieser war von dem dafür zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss einer Festbetragsgruppe zugeordnet worden. Da der Hersteller das Arzneimittels Alvesco® auf dem inländischen Markt allerdings zu einem erheblich über dem Festbetrag liegenden Preis anbietet, sollte der Kläger bei jedem Kauf des verordneten Medikaments die Differenz zum Festbetrag selbst tragen. Diese Zuzahlungen sind dem Kläger - so urteilten nun die Aachener Richter - im konkreten Fall nicht zuzumuten. Dabei stellten sie nicht darauf ab, dass die vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorgenommene Eingruppierung des Arzneimittelwirkstoffs in die betreffende Festbetragsgruppe rechtswidrig gewesen war, obwohl das Gericht auch diesbezüglich erhebliche Bedenken geäußert hat. Es handelt sich bei Alvesco® vielmehr um das einzige Medikament, das den Wirkstoff Ciclesonid enthält, der beim Kläger nicht eine bestimmte unangenehme Nebenwirkung auslöst. Alle zum Festbetrag erhältlichen Medikamente enthalten dagegen andere Wirkstoffe, auf die der Kläger trotz entsprechender Mundhygiene und korrekter Inhalationstechnik mit schmerzhaftem Mundsoor reagiert. Dies hatten zahlreiche Behandlungsversuche des Klägers und des ihn behandelnden Arztes mit Festbetragsarzneimitteln gezeigt. Bei dieser Sachlage hat der Kläger einen Anspruch auf Versorgung mit Alvesco® zu Lasten der GKV ohne Beschränkung auf den Festbetrag, da nur durch dieses Arzneimittel der Kläger entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ordnungsgemäß versorgt wird.
Gegen das Urteil des Sozialgerichts ist die Berufung zum Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Essen zulässig.
(Sozialgericht Aachen, Urteil vom 16.11.2010, S 13 KR 170/10).
Quelle: Pressemitteilung des Sozialgerichts Aachen vom 26.11.2010.
Kommentare
Kommentar schreiben
Veröffentlicht am
29.11.2010
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
Hinweis
Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.
Urheber
© Rechtsanwalt Köper (Gilt nicht für gekennzeichnete Pressemitteilungen, Medieninformationen und Gerichtsentscheidungen)
Seien Sie die erste Person, die einen Kommentar zu diesem Artikel abgibt.