Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht hat in einem ganz aktuellen Verfahren entschieden, dass Rollstuhfahrer zur Erfüllung ihres Grundbedürfnisses auf Stehen einen Anspruch auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl haben können, der eine Stehfunktion hat. Diese ermöglicht das sichere Aufstehen im Rollstuhl.

Die Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin als Rentnerin krankenversichert. Sie erhält Leistungen der vollstationären Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III. Bei ihr liegt ein Zustand nach Hirnstammblutung 2006 mit spastischer Tetraparese, Rumpfinstabilität, fehlender Kopfhaltefunktion sowie eingeschränkter Schluckfähigkeit vor. Ihr behandelnder Arzt verordnete ihr den Rollstuhl C400 VS mit Stehfunktion, Kantelung, Bein- und Rückenverstellung und Sondersteuerung sowie sogenannter Magic Drive-Umfeldsteuerung und Sonderbau nach Langzeiterprobung. Diese Verordnung und einen Kostenvoranschlag zu einem Gesamtpreis von 27.561,49 EUR erhielt die Antraggegnerin im Februar 2012. Der eingeschaltete MDK kam zu dem Ergebnis, dass die Stehfunktion nicht zwingend erforderlich erscheine, da ein Stehtraining ausreichend in einem vom Heim vorzuhaltenden Stehständer durchgeführt werden könne. Der behandelnde Arzt führte daraufhin ergänzend aus, dass der Elektro-Stehrollstuhl benötigt werde, um sowohl die Lebensqualität zu verbessern, die Selbstständigkeit zu fördern und die Organfunktion anzuregen, und zwar zur Mobilisierung der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke, zur Verbesserung der Atemsituation sowie zur Vermeidung einer Inaktivitätsosteoporose und insbesondere zur Vermeidung von Dekubiti (Druckstellen). Letztlich verweigerte die Antragsgegnerin die Zahlung, wogegen die Beklagte Widerspruch erhob und gleichzeitig im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vor das Sozialgericht Schleswig und schließlich vor das Landessozialgericht Schleswig-Holstein zog.

Letzteres gab ihr schließlich Recht und verurteilte die Krankenkasse zur Übernahme der Kosten im einstweiligen Rechtsschutz.

Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage stelle die Versorgung der Antragstellerin mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion eine erforderliche Hilfsmittelversorgung im Sinne des § 33 Absatz 1 Sozialgesetzbuch 5 dar, und zwar in Erfüllung der in dieser Vorschrift genannten drei Varianten. Namentlich sind das die Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung, die Vorbeugung einer drohenden Behinderung und der Ausgleich einer Behinderung. Die Erfüllung der ersten beiden Varianten durch die Aufstehfunktion sei unproblematisch gegeben. Dies habe sich bereits aus den Ausführungen des behandelnden Arztes ergeben. Wesentlich bei dem Versorgungsanspruch sei daneben aber auch vor allem der Behindertenausgleich.

Der in § 33 Absatz 1 Sozialgesetzbuch 5 genannte Zweck des Behindertenausgleichs umfasse hierbei auch solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen würden. Ein Hilfsmittel sei von der GKV immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitige oder mildere und damit ein Grundbedürfnis betreffe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts würden hierzu das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines körperlichen und geistigen Freiraums zählen.

Hier gehöre zu den genannten Grundbedürfnissen insoweit auch das Stehen, das von der Antragstellerin ohne fremde Hilfe nicht erreicht werden könne. Die von der Antragsgegnerin aufgeführte Stehhilfe sei dafür kein gleichwertiger Ersatz, denn sie sei hier auf die Inanspruchnahme fremder Hilfe durch andere Personen angewiesen. Dem Verweis des behinderten Menschen auf die Hilfe Dritter stehe jedoch die Zielsetzung der Hilfsmittelversorgung entgegen. Wesentliches Ziel derer sei es, dem behinderten Menschen von der Hilfe anderer weitgehend bzw. deutlich unabhängiger zu machen.

Zudem machte das Gericht klar, dass der richtige Antragsgegner hier die Krankenkasse sei und nicht, wie von dieser behauptet, die Pflegekasse.

Es handelt sich zwar um eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz. Es bleibt jedoch zu erwarten, dass die Entscheidung in der Hauptsache bestätigt wird. Die Argumentation des Gerichts ist überzeugend und stärkt die Rechte von schwerstbehinderten Rollstuhlfahrern.

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Kommentare

H.
18.12.2018, 18:51 Uhr

ein lieben guten tag, ich bin an muskeldystrophie erkrankt,habe pfegegrat 4 ,und bin zum größten teil bettlegerisch,also ich könnte noch 2 krankheiten benennen,aber genug davon.mir hat dieser artikel sehr,sehr gut gefallen,vielen dank dafür! ich wohne zur häuslichen pflege und danke gott dafür, dass ich so liebe menschen habe die mir mein leben 24 stunden ermöglichen und erleichtern! und es wird immer schwieriger so hilfsbereite personen zufinden, die dann auch noch so wenig geld für ihre aufopferung bekommen! ich habe in diesen jahr einen rollstuhl mit liegefunktion bekommen, auch für den innen und außenbereich, aber die "standard" ausführung.eine steigerung meiner lebensqualität die ich mit worten nicht ausreichend erklären kann! natürlich bin und bleibe hilflos, aber ich muß nicht mehr den ganzen tag in meinem bett liegen,indem ich noch kranker werde und die 5. krankheit bekomme-depressionen.meine hüfte und meine knie sind so verkrümmt das ich im liegen auf dem rücken so starke schmerzen habe, daß ich sogar beim arztbesuch auf der linken seite liegen muß.dank meines rollstuhls hat sich das gebessert.es könnte noch besser sein! nun der grund weshalb ich diesen interessanten,hilfreichen artikel kommentieren möchte-als betroffener patient denke ich immer: ich falle der krankenk.zur last und traue mich garnicht erst einen rollstuhl mit steh und oder liftfunktion zu beantragen, obwohl da wohl reichlich geld im topf der kassen sich befindet,ich weiß nicht genau wieviel milliarden.daher danke ich herrn rechtsanwalt andreas koeper für diesen überaus wichtigen artikel! denn mit einen anderen menschen auf augenhöhe zureden steigert auch noch das selbstwertgefühl.ich muß nicht immer nach oben sehen - krampf im hals am abend,-und der mir gegenüber stehende nicht immer nach unten.ich habe mich trotz "standard funktion"bei meiner krankenk.und auch bei den sachbearbeitern bedankt, schriftlich, habe einen anruf erhalten wo sich auch die sachbearbeiterin sich bei mir bedankten, für mein außergewöhnlichen dankesbrief ! sorry für meine offenheit, aber ein bekannter meinte nachdem er meine komunikation mit der kasse mitbekam, - na udo erstmal einschleimen bei deiner aok ? mein einziger komentar lautete nur - sitz du mal 15 jahre in so einen kleinen rollstuhl ohne zusatzfunktion,der nurnoch zum krankentranzport benutzt wird, dann dankst auch du jeden der daran beteiligt war von herzen! liebe leute , ich bin so schon froh, dass ich meinen e-rollstuhl habe, mein quikie jive m, der zu mir gehört wie mein bein oder arm,-nur daß mein jive mehr kann als mein arm oder bein ! wenn der noch eine stehfunktion hätte...wow!!!vieleicht würde ich dann sogar drin schlafen (:->) ! es ist auch klar,dass es aus sicht der kassen heißt-ob dringend erforderlich oder nicht, aber aufgrund der patientenakte,die ja auch der kasse vorliegt und wenn es dann sowieso der behandelnde arzt eh attestiert hat, denn ohne grund wird kein doktor so ein hilfsmittel verordnen,stünde meiner meinung nach ganz klar nichts im wege solch notwendiges hilfsmittel zu genehmigen! denn einem jedem behinderten menschen solch ein rollstuhl nicht zugenehmiegen wäre nicht fähr! denn diese rollstühle bleiben immer eigentum der krankenkassen und sind wieder einsetzbar und werden nicht wie hygienne hilfsmittel entsorgt oder eingelagert! es ist nur meine meinung aber ich könnte ja recht haben! ich danke ,dass ich diesen artikel kommentieren dufte und danke den menschen die diesen artikel veröffentlicht haben! nach diesen tollen artikel von herrn rechtsanwalt koeper, denke ich unbedingt darüber nach zu gegebener zeit ebenfalls ein rollst.mit stehfunktion zu beantragen! denn es geht für mich um sehr sehr viel! ich habe auch kein poblem damit,dass mein kommentar veröffentlich wird.sollten mehr menschen kommentieren! liebe grüße,udo.

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
18.12.2018, 21:01 Uhr

Lieber Udo,

ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihren offenen und menschlichen Beitrag, das Teilen Ihrer Freude und Ihre Dankesworte und wünsche Ihnen ebenso herzlich eine schöne Advents- und Weihnachtszeit. Und übrigens: Freundliche Gesten gegenüber den Mitmenschen in den Krankenkassen helfen manchmal weiter, als tausend Anwälte ;-) Liebe Grüße zurück, RA Köper

A.
21.09.2023, 14:51 Uhr

Sehr geehrter Herr Köper, der Beitrag ist perfekt, genau das selbe Problem habe ich auch, und seit 1,5jahren bin ich bis auf wenige Minuten am Tag bettlägrig. Ich leide an ME/CFS, Fimbromyalgie und unzähligen anderen Erkrankungen. Herr Lauterbach hat für ME/CFS Geld beantragt um es bekannter zu machen da eine absolute Unterversorgung besteht . Der MDK hat jedesmal viel zu lasch beurteilt weil die sich das überhaupt nicht vorstellen können. Jeder Widerspruch war zwecklos. Gibt es denn ein Schreiben oder einen Beschluss, den man der KK oder dem MDK vorlegen kann, dass sie die Krankheit ernst nehmen und besser beurteilen können? Viele liebe Grüße und vielen Dank für ihre Hilfe.


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Veröffentlicht am

30.09.2013

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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