Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht in Schleswig hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass eine Versicherte gegen ihre Krankenversicherung einen Anspruch auf Versorgung mit einem Handbike mit zuschaltbarem Elektroantrieb hat.
Die Klägerin leidet an einer spastischen Paraparese der Beine, einer Hüftdysplasie beidseits mit Luxation links und einem Zustand nach Versteifungs-OP beider Füße (Tripel-Arthrodese) mit resultierender Spitzfußstellung. Sie ist dauerhaft auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen und von der Beklagten mit zwei Aktivrollstühlen versorgt worden.
Nachdem sich auch zunehmend eine krankheitsbedingte Reizung der schulternahen Weichteile einstellte, beantragte die Klägerin bei ihrer Krankenversicherung die Versorgung mit einem Speedy-Duo 2, einem sogenannten Handbike mit intelligenter Motorunterstützung, das sowohl manuell als auch mit Elektroantrieb betrieben werden kann. Der Preis für die Anschaffung sollte 3.576,85 Euro betragen. Als die Krankenversicherung eine Kostenübernahme verweigerte, klagte die Versicherte und bekam letztlich in zweiter Instanz Recht.
Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht hat dabei ausgeführt, dass die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Handbike mit zuschaltbarem Elektroantrieb eine erforderliche Hilfsmittelversorgung im Sinne des § 33 Absatz 1 Sozialgesetzbuch 5 darstellt. Im vorliegenden Fall gehe es um die Frage eines Behinderungsausgleichs. Danach bestehe ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, wenn es erforderlich ist, um das Gebot eines möglichst weit gehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Ein Hilfsmittel sei von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft.
Im Falle der Klägerin ist das allgemeine Grundbedürfnis der „Bewegungsfreiheit“ betroffen, das bei Gesunden durch die Fähigkeit des Gehens, Laufens, Stehens usw. sichergestellt wird. Ist diese Fähigkeit durch eine Behinderung beeinträchtigt, so richtet sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels in erster Linie danach, ob dadurch der Bewegungsradius in einem Umfang erweitert wird, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht. Auch wenn bei Benutzung der vorhandenen Aktivrollstühle die Arme im Schultergelenk nur wenig angehoben werden müssen, wird die Klägerin doch dazu gezwungen, die Arme stärker nach vorn zu bewegen. Auch diese Körperhaltung führt zu einer unphysiologischen Beanspruchung der Arme und des Schultergürtels, die sich ungünstig auf die Erkrankungen der oberen linken Extremität auswirkt.
In einer sehr detaillierten Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild der Klägerin und ihren Fähigkeiten ist das Gericht vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Versorgung mit dem Handbike geboten ist. Die Krankenkasse hatte daher die Kosten zu tragen.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 15.12.2011.
Kommentare
Kommentar schreiben
Veröffentlicht am
20.04.2012
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
Hinweis
Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.
Urheber
© Rechtsanwalt Köper (Gilt nicht für gekennzeichnete Pressemitteilungen, Medieninformationen und Gerichtsentscheidungen)
19.08.2013, 10:40 Uhr
Sehr geehrter Herr O., vielen Dank für Ihre Anfrage. Chancen gibt es in solchen Fällen durchaus, beim Greifreifenantrieb ist die physiologische Belastung ja eine ganz andere, als beim Handbike. Es bedarf allerdings einer ausführlichen Besprechung, um den Sachverhalt genau abzuklären und eine gute Widerspruchsbegründung anzufertigen. Falls Sie Bedarf haben, melden Sie sich gerne telefonisch in meinem Büro. Mit freundlichen Grüßen RA Köper
19.08.2013, 08:56 Uhr
Hallo! Bin in ähnlicher Situation wie M. Gibt es eine Antwort hierauf? Gruß O.
23.05.2013, 11:52 Uhr
Sehr geehrter Herr Köper, Ich bin 27 Jahre alt und Sitze seit 10 Jahren im Rollstuhl nach einem Badeunfall. (Querschnittslähmung C5 Tetraplegie). Mir wurde das "Handbike Speedy Duo2" von meiner Krankenkasse (AOK Bayern) abgelehnt. Begründung der Krankenkasse: "Ihren Antrag haben wir erhalten. Leider können wir die Kosten für dieses Hilfsmittel nicht übernehmen. Lassen Sie uns Ihnen bitte die Gründe für diese Entscheidung erläutern: Der Umfang der Leistung ist gesetzlich geregelt und für die Krankenkassen verbindlich. Demnach haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit anerkannten Hilfsmitteln. Diese müssen im Einzelfall erforderlich sein, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung auszugleichen. Der Anspruch besteht, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände anzusehen oder von der Versorgung ausgeschlossen sind. Bei der Versorgung von Hilfsmitteln ist der Grundsatz von medizinischer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit (ausreichende und zweckmäßige Versorgung) zu beachten . Sie sind derzeit mit einem restkraftunterstützenden Greifreifenantrieb e-motion M 15 versorgt. Eine weitere Kostenübernahme ist nicht möglich, da der bestehende Leistungsanspruch bereits ausgeschöpft ist. " Was meinen Sie Herr Köper habe ich Chancen Gerichtich die Sache anzugehen und recht zu bekommen? Denn Ich wohne in H. und es gibt keine Steigung alle Straßen sind flach (keine Gebirge) Mit dem Handbike könnte ich selbständig einkaufen oder Therapie-und Arztbesuche erledigen. (Netto 2 km) (Real ca.8km), (Hausarzt ca. 3km) (Krankengymnastik ca. 5 km) Mit dem e-motion M 15 ist es einfach nicht zu schaffen. Bedanke mich im Voraus und freue mich auf Ihre Antwort.
02.07.2015, 16:59 Uhr
Sehr geehrter Herr Körper, ich habe bei meiner Krankenkasse einen Antrag auf Kostenübernahme eines Handbike beantragt. Ich bin seit ca.23 Jahren im Rollstuhl habe die Fraktur BWK 5/6. Die Beanspruchung meiner Gelenke im Oberkörperbereich ist nicht immer schonend. Die Krankenkasse hat folgendes dazu geschrieben. Danke im Voraus Sehr geehrter Herr Schels, die Kosten für das beantragte Handbike können von uns nicht übernommen werden. Hilfsmittel Versorgungen müssen gemäß Wirtschaftlichkeitsgebot § 125GB V (Sozialgesetzbuch Fünf) zweckmäßig, ausreichend und wirtschaftlich erfolgen; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Das beantragte Hilfsmittel stellt grundsätzlich eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung dar, wenn die Indikation vorliegt. Aus der von uns beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) angeforderten Stellungnahme geht hervor, dass das beantragte Handbike nicht dem Behinderungsausgleich dienen soll, sondern zur sportlichen Betätigung. Aus gutachterlicher Sicht ist der vorhandene Rollstuhl als ausreichend zu betrachten. Des Weiteren ist zu Trainingszwecken kein Rollstuhlzuggerät notwendig. Die Möglichkeit, sich als Rollstuhlfahrer mit Hilfe von Vorspann-/ Einhängefahrrädern mit Handkurbelantrieb oder mit Rollstuhl-Fahrradkombinationen wie ein Radfahrer zu bewegen und z. B. Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen, zählt bei Erwachsenen nicht zu den Grundbedürfnissen und fällt daher nicht in die Finanzierungsverantwortung der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BSG- Urteil vom 6. August 1998 - B 3 KR 3/97 R).
03.07.2018, 16:29 Uhr
Guten Tag, ich bräuchte mal das Aktenzeichen zu dem Urteil. Mit freundlichem Gruß
04.07.2018, 13:55 Uhr
Gerne - hier für Sie das Aktenzeichen: