Wird ein Bezieher von Arbeitslosengeld arbeitsunfähig, erhält er zunächst 6 Wochen lang weiter Arbeitslosengeld vom Arbeitsamt (vergleichbar der "Entgeltfortzahlung" bei Angestellten) und anschließend Krankengeld von der Krankenkasse. Aber (wann) darf die Krankenkasse das Krankengeld einstellen mit der Begründung, man sei nicht mehr "arbeitsunfähig"?
Das Bundessozialgericht (BSG) hat schon im Jahr 2002 und 2006 entschieden, dass für die Bewertung der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitslosengeld-Beziehers unterschiedliche Maßstäbe gelten, je nachdem, wie lange die Arbeitslosigkeit vor Eintritt der Erkrankung bestand.
Im Urteil aus 2006 stellte das BSG klar:
Maßstab für die Beurteilung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten in der Krankenversicherung der Arbeitslosen sind auch in den ersten sechs Monaten der Arbeitslosigkeit alle Beschäftigungen, für die er sich der Arbeitsverwaltung zwecks Vermittlung zur Verfügung gestellt hat und die ihm arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbar sind. Einen darüber hinausgehenden krankenversicherungsrechtlichen "Berufsschutz" gibt es auch insoweit nicht (BSG, Urteil vom 04. April 2006 – B 1 KR 21/05 R –, BSGE 96, 182-190, SozR 4-2500 § 44 Nr 9).
Und im Urteil aus 2002 heißt es:
Die Arbeitsunfähigkeit richtet sich nicht mehr nach den besonderen Anforderungen der zuletzt ausgeübten Beschäftigung, wenn der Versicherte seit dem Verlust des Arbeitsplatzes mehr als 6 Monate als Arbeitsloser krankenversichert war. Für die Beurteilung ist der versicherungsrechtliche Status des Betroffenen im Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung maßgebend (BSG, Urteil vom 19. September 2002 – B 1 KR 11/02 R –, BSGE 90, 72-84, SozR 3-2500 § 44 Nr 10, SozR 3-2500 § 46 Nr 1).
Was bedeutet dies für Sie?
Wenn Sie während des Bezugs von Arbeitslosengeld arbeitsunfähig werden und die Krankenkasse nach einiger Zeit mit einem Brief (sog. "Bescheid") das Krankengeld einstellt mit der Begründung, ausweislich eines "Gutachtens" des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) seien Sie nicht mehr arbeitsunfähig und das Krankengeld werde nur noch bis zu einem bestimmten Datum gezahlt, sollten Sie gegen diesen Bescheid binnen 1 Monats ab Erhalt mit Zugangsnachweis (per Telefax mit Sendebericht oder per Einschreiben) Widerspruch einlegen. Eine Vorlage für einen einfachen Widerspruch finden Sie hier. Anschließend können Sie (am besten über einen Anwalt) die Krankenkasse auffordern, Ihnen die dem Bescheid zugrunde liegenden medizinischen Unterlagen und Gutachten zu übersenden.
Sodann sollte der Anwalt prüfen, ob das "Gutachten" des MDK fundiert ist, insbesondere dort die oben genannte Rechtsprechung des BSG berücksichtigt wurde:
Sind Sie innerhalb von 6 Monaten nach Beginn der Arbeitslosigkeit krank geworden und noch nicht 6 Monate krank, sind Maßstab für die Beurteilung Ihrer Arbeitsunfähigkeit nur die Beschäftigungen, für die Sie sich der Arbeitsverwaltung zwecks Vermittlung zur Verfügung gestellt haben und die Ihnen arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbar sind, vgl. § 140 Sozialgesetzbuch 3.
Sind Sie später als 6 Monate nach Beginn der Arbeitslosigkeit krank geworden oder länger als 6 Monate krank, ist Maßstab für die Beurteilung Ihrer Arbeitunfähigkeit der sog. "allgemeine Arbeitmarkt". Unter diesen Umständen ist es häufig schwierig, die Einschätzung des MDK anzugreifen. Aber auch in diesen Fällen stellt sich sehr oft heraus, dass der MDK nur eine sehr oberflächliche Prüfung vorgenommen hat. Häufig wird beim MDK auch "fachfremd" begutachtet, z.B., indem ein Orthopäde die Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten mit einer psychischen Erkrankung beurteilt. Auch hier kann es Ansatzpunkte geben.
Sind Sie noch während des letzten Beschäftigungsverhältnisses krank geworden und wurde dieses dann während der Krankheit beendet (z.B. durch Aufhebungsvertrag oder Kündiigung), bleibt Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit die zuletzt ausgeübte Tätigkeit.
Hierzu hat das BSG 2005 klargestellt:
Die zuletzt ausgeübte bzw eine gleichartige Tätigkeit bleibt nach dem Verlust des Arbeitsplatzes nur dann für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit maßgebend, wenn der Versicherte bereits bei Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis im Krankengeldbezug stand. Der Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ergibt sich in diesen Fällen auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses aus der Mitgliedschaft des Versicherten auf Grund seiner früheren versicherungspflichtigen Beschäftigung ... Diese Mitgliedschaft wird durch den Bezug des Krankengeldes ... aufrechterhalten. Die spätere Arbeitslosmeldung hat hierauf keinen Einfluss.
Beachten Sie auch gerne meinen Video zur Krankengeld-Einstellung.
446; 1992 2235
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Veröffentlicht am
24.08.2015
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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06.02.2019, 11:26 Uhr
Anlässlich eines aktuellen Falles: Wird man im Laufe des Arbeitslosengeldbezugs krank, bzw. arbeitsunfähig, besteht Anspruch auf Krankengeld auch über das Ende, bzw. die Höchstanspruchsdauer des Arbeitslosengeldes hinaus, wie sich aus einem Urteil des BSG ergibt. Der Fall eines AU-Eintritts kurz vor Ende des Arbeitslosengeldes ist rechtlich dem Fall eines AU-Eintritts kurz vor Ende des Beschäftigungsverhältnisses gleichzustellen:
26.01.2020, 21:37 Uhr
Sehr geehrter Herr Köper, ich bin mir nicht sicher ob mein Fall in dieser Kategorie richtig ist. Folgender Sachverhalt. Ich bin seit Nov. arbeitslos. Bei meinem ersten Termin habe ich mitgeteilt, dass ich chronisch krank bin und nur in TZ arbeiten kann (20 Wo.St.). Daraufhin wurde ich Anfang Dezember gebeten einen Fragebogen für den Medizinischen Dienst auszufüllen. Anfang Januar wurde mir telefonisch mitgeteilt, dass ich nicht leistungsfähig und nicht arbeitsfähig sei. Eine Woche später erhalte ich einen Aufhebungsbescheid mit folgendem Inhalt: Die Entscheidung über die Bewilligung von Arbietslosengeld gem. § 136 SGB III wird ... aufgehoben. Grund: Wegfall der Verfügbarkeit. Rechtsgrundlage ist §§137 Abs.1, 138 des SGB III und §48 Abs. 1 S. 2 des SGB X i.V.m. § 330 Abs 3 SGB III. Was fange ich mit diesem Bescheid an und auf was begründe ich einen Widerspruch, wenn ich gar nicht weiß was ich vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht gemeldet habe? Da ich ja arbeiten will hätte ich eigentlich erwartet, dass nach der "ärztlichen Begutachtung" eine Aufforderung nach §145 SGB III erfolgt. Könnten Sie mir bei dieser Sache Hilfestellung geben. Mit freundlichen Grüßen
27.01.2020, 12:30 Uhr
Sehr geehrter Herr B., vielen Dank für Ihren Beitrag.In diesem Fall sollten Sie fristwahrend Widerspruch gegen den Einstellungsbescheid zum Arbeitslosengeld erheben und um Übersendung einer Kopie des Gutachtens oder der sozialmedizinischen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes bitten. Ein Arbeitslosengeld Bezug nach dem genannten § 145 SGB III kommt nur in Betracht, wenn der ärztliche Dienst eine voraussichtlich mehr als 6 Monate andauernde Minderung der Leistungsfähigkeit annimmt. Es kommt vor, dass der ärztliche Dienst meint, aktuell sei das Leistungsvermögen aufgehoben, dieser Zustand dauere aber voraussichtlich keine 6 Monate. Deshalb ist es wichtig, die Stellungnahme des ärztlichen Dienstes zu sehen. Häufig wird das Formular von den Mitarbeitern des ärztlichen Dienstes nach meiner Erfahrung aber auch gar nicht vollständig ausgefüllt, teilweise sind wichtige Kästchen in dem Formular nicht angekreuzt. Wenn man in Finanznot ist, sollte man parallel zum Widerspruch gegen die Einstellung des Arbeitslosengeldes rein vorsorglich auch einen Antrag auf Leistungen beim Jobcenter stellen. Anträge, die man dort (nachweisbar) bis zum Monatsende stellt, wirken auf den Monatsersten zurück.
01.02.2020, 20:01 Uhr
Sehr geehrter Herr Köper, am Montag habe ich nun den Widerspruch per Einschreiben abgeschickt. Wie von Ihnen empfohlen, habe ich um Übersendung einer Kopie des Gutachtens gebeten. Am 31. habe nun im elektronischen Postfach einen Abhilfebescheid "gefunden":
Ich möchte mich für Ihre Hilfe bedanken und hoffe bei meinem nächstem Termin (am 26.2.) eine Kopie zu erhalten, ansonsten werde ich diese nochmals einfordern.
05.02.2020, 12:26 Uhr
Sehr geehrter Herr B., das freut mich sehr für Sie zu hören! Sehen Sie, es lohnt sich doch oft, nicht alles hinzunehmen. Ihnen weiterhin alles Gute! RA Köper
25.02.2022, 14:57 Uhr
Hallo Herr Rechtsanwalt Köper, ich bin seit Oktober 2021 arbeitslos und aufgrund der Tatsache, dass ich zur Zeit gesundheitlich nicht fähig bin an einer Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen bzw mich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen bin ich von meinem Arzt im Januar 2022 krankgeschrieben worden. Ich bin noch nicht im Krankengeldbezug. Der MDK hat nunmehr meine Krankschreibung zum 22.02.22 aufgehoben. Eigentlich bin ich bis zum 03.03.2022 krankgeschrieben. Die Ärztin dort hat gesagt, dass meine Arbeitsunfähigkeit aufgrund Arbeitslosigkeit anders beurteilt wird und zwar könnte ich noch an der Schranke sitzen und einen Knopf drücken. Ich bin vorher Sachbearbeiterin im Debitorenmanagement gewesen. Ich bin zwar erst seit Oktober 2021 arbeitslos gemeldet, war aber seit Februar 2021 freigestellt. Wie sieht das denn in meinem Fall aus? Ich bin sehr erschüttert über den Umgang beim MDK und vor allem sagte sie mir, dass sie mich, wenn ich noch im Büro tätig wäre für krank hält, aber da ich arbeitslos bin, das anders aussieht und die Krankenkasse am Krankengeld nix verdient. Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Mühe. Mein Arzt wird mich sicherlich erneut krank schreiben.
25.02.2022, 17:08 Uhr
Liebe Frau S., herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Wenn Sie erst seit Oktober 2021 im Arbeitslosengeldbezug sind, dürfte der korrekte Bezugspunkt der Arbeitsunfähigkeitsbeurteilung noch nicht der allgemeine Arbeitsmarkt sein (den meint die MD-Ärztin wahrscheinlich mit ihren berufskundlichen Ausführungen zu "Schranke sitzen und Knopf drücken"). Gegen den Bescheid der Krankenkasse können Sie daher Widerspruch erheben und eine Kopie der Stellungnahme des MD anfordern. Achten Sie darauf, den Widerspruch schriftlich einzulegen, d.h. per Brief mit Unterschrift, eine E-Mail genügt für einen Widerspruch nicht. Grundsätzlich tun sich die Krankenkasse aber schwer mit der Krankengeldzahlung an Arbeitslose, da sie von der Arbeitsagentur für diese auch deutlich weniger Beiträge erhälten, als bei einer Beschäftigung. Die Erfolgsquote der Widersprüche gegen Krankengeldversagungen oder -einstellungen liegt daher bei Arbeitslosigkeit leider auch deutlich niedriger. MfG D. Köper
25.02.2022, 22:25 Uhr
Hallo Herr Rechtsanwalt Köper, vielen Dank für Ihre schnelle Rückinfo. Das Arbeitsamt hat mir aufgrund der AU mitgeteilt, dass ich mit Datum vom 03.03. raus aus dem Leistungsbezug bin und ich mich dann erneut arbeitslos melden muss. Wie gehe ich denn jetzt vor? Ich bin ja im Moment laut MDK gesund geschrieben und laut Arbeitsamt nicht mehr im System. Ich bin auch krank und werde das auch weiterhin leider sein. Muss ich dem Arbeitsamt jetzt die Aufhebung der AU mitteilen? Ich habe diese ja heute erst erhalten und gehe Montag zum Arzt. Dieser wird mich wieder krankschreiben, auch wenn der MDK das anders sieht. VG
28.02.2022, 09:28 Uhr
Wenn Sie Arbeitslosengeld beziehen wollen, müssen Sie sich arbeitslos melden und den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur im Rahmen Ihres Leistungsvermögens zur Verfügung stellen. Lesen Sie dazu diesen Artikel hier. Ich wünsche Ihnen alles Gute. MfG RA Köper