Dass Sozialgericht Darmstadt hat in einer aktuellen und sehr beachtenswerten Entscheidung dargelegt, dass Krankengeld auch dann gezahlt werden könne, wenn die Arbeitsfähigkeit des Betroffenen nicht abschließend geklärt ist. Dies kann der Betroffene im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auch gerichtlich durchsetzen.

Im Fall der Antragstellerin dieser Entscheidung konnte weder im behördlichen Verfahren noch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht geklärt werden, ob diese tatsächlich noch arbeitsfähig ist. Insoweit stellte sich die Frage, ob bis zur Klärung dieser Frage der angegangene Sozialleistungsträger zur vorläufigen Leistung verpflicht ist.

Das Gericht hat diese Frage hier bejaht und die Krankenkasse dazu verpflichtet, vorläufig Krankengeld in der entsprechenden Höhe zu zahlen.

Zentral für die Entscheidung dieser Frage ist § 43 Sozialgesetzbuch 1. Nach dieser Vorschrift, so das Gericht, könne der zuerst angegangene Leistungsträger Leistungen erbringen, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen bestehe und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig sei, wer zur Leistung verpflichtet sei. Dabei hat das Gericht zunächst festgehalten, dass diese Norm nicht nur anwendbar sei, wenn Unklarheit darüber herrsche, welcher von mehreren möglichen Leistungsträgern für eine ganz bestimmte Leistung zuständig sei, sondern auch in Fallkonstellationen wie dieser, die dadurch gekennzeichnet seien, dass die Antragstellerin in jedem Fall einen Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung habe, es jedoch aufgrund des nicht abschließend geklärten Sachverhalts noch nicht feststehe, welche Leistung dies sei. In Betracht kämen grundsätzlich Arbeitslosengeld oder Krankengeld.

Entscheidend sei insofern, dass die Vorschrift als Reaktion darauf anzusehen ist, dass die soziale Sicherung in Deutschland mit seinem ausdifferenzierten System mehrerer Leistungsträger nicht immer einfach zu durchblicken ist. In einem derart gegliederten System der sozialen Sicherung müssen es eine gesetzlche Grundlage dafür geben, in einer Situation der Unsicherheit auch vorläufig Leistungen erbringen zu können. Dies müsse sowohl bei der Frage der Zuständigkeit gelten wie auch dann, wenn wesentlich identische Leistungen in Rede stehen. Dies sei bei Arbeitslosengeld und Krankengeld der Fall. Bei beiden handele es sich um Entgeltersatzleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts in Situationen dienten, in denen die Betroffene (unfreiwillig) nicht arbeiten könne.

Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens sei der Antragstellerin schließlich nicht zuzumuten, da ihr dadurch erhebliche finanzielle Nachteile drohten.

Kommentar: Der Entscheidung ist ausdrücklich zuzustimmen. Auch bei Unklarheiten über Tatsachen sind von der zuständigen Behörde (dies muss nicht die Krankenkasse sein) vorläufige Leistungen zu gewähren. Dies resultiert nicht nur aus dem gegliederten System der sozialen Sicherung, sondern m. E. auch aus Art. 1 Absatz 1 GG i.V.m. Art. 20 Absatz 1 GG.

Foto: © istockphoto.com/VisualField

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Veröffentlicht am

18.12.2012

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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