Das Sächsische Landessozialgericht hat klargestellt, dass in Klageverfahren über den Grad der Behinderung wegen der medizinischen Fragestellungen i.d.R. nicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet werden kann.

Begutachtung Arzt

Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 16. April 2015 – L 6 SB 17/15: Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG nicht vor. Unabhängig davon, dass Gerichtsbescheide in medizinisch geprägten Fällen ohnehin äußerst zurückhaltend eingesetzt werden sollten, ist nicht zu erkennen, dass der Sachverhalt sowohl in tatsächlicher als auch in medizinischer Hinsicht geklärt ist. Ein Sachverhalt ist grundsätzlich nur dann als geklärt im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG anzusehen, wenn ein verständiger Prozessbeteiligter in Kenntnis des gesamten Prozessstoffes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des vom Gericht zugrunde gelegten entscheidungserheblichen Sachverhalts haben wird. Unter dem Tatbestandsmerkmalen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG - geklärter Sachverhalt - ist mehr zu verstehen als die dem Gericht im sozialgerichtlichen ohnehin gemäß §§ 103, 106 SGG obliegenden Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (vgl. LSG Berlin/Brandenburg a.a.O.). Der Sachverhalt ist nur dann geklärt, wenn aufgrund des Sachvortrags der Beteiligten und der beigezogenen Akten Zweifel hinsichtlich des Sachverhalts ausgeschlossen sind (Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl., Rdnr. 326). Hier haben die rechtlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nicht vorgelegen. Das Sozialgericht hat bereits nicht seiner allgemeinen Amtsermittlungspflicht hinreichend Rechnung getragen (siehe hierzu unter 2.). Der bestehende Besetzungsmangel ist auch als wesentlich anzusehen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die mit zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte Kammer hier in gesetzlich vorgeschriebener Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. 2. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen. Nach § 103 Satz 1 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen, wobei sich der Umfang der Amtsermittlungspflicht nach dem Streitgegenstand richtet, nämlich dem prozessualen Anspruch der Klägerin unter Berücksichtigung der Verteidigung des Beklagten und der möglichen Entscheidung des Gerichts (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 103 Rdnr. 4). Für die Entscheidung über die streitige Höhe des Gesamt-GdB kommt es wesentlich darauf an, welche Funktionsbeeinträchtigungen beim Kläger bestehen und wie die hieraus folgenden Teilhabeeinschränkungen einzuschätzen sind. Die Aufklärung eines medizinisch geprägten Sachverhalts durch ein Tatsachengericht unterliegt in allen Gerichtsinstanzen einheitlichen Qualitätsanforderungen. Im Hinblick auf die Amtsermittlung erstinstanzlicher Gerichte sind danach im Grundsatz die gleichen Anforderungen heranzuziehen, die auch das Bundessozialgericht an die Sachverhaltsaufklärung durch die Landessozialgerichte stellt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). In einem medizinisch geprägten Sachgebiet, wie dem Schwerbehindertenrecht, darf sich ein Gericht mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Soweit das Gericht einen medizinischen Sachverhalt aufgrund eigener Sachkunde bewerten will, ist überdies darzulegen, auf welcher Grundlage diese Sachkunde beruht, damit die Beteiligten hierzu Stellung nehmen können (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RV 36/85, SozR 1500 § 128 Nr. 31). Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, um den Erfordernissen der Amtsermittlung gerecht zu werden. Sie sind nur schriftliche Zeugenaussagen. Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es nach alledem regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens.


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Veröffentlicht am

11.03.2019

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.

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