Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 13. Mai 2009 (Az.: 2 BvR 718/08) einer Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Rehabilitierung wegen einer (zwangsweisen) Unterbringung in einem DDR-Kinderheim stattgegeben.
Der 1955 geborene Beschwerdeführer befand sich von 1961 bis 1967 in Heim-erziehung und anschließend zwangsweise bis Januar 1972 in verschiedenen Einrichtungen in der ehemaligen DDR. Der Beschwerdeführer beantragte in einem gesonderten Verfahren seine Rehabilitierung wegen der Unterbringung in zwei Jugendwerkhöfen, die ihm mit Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 15. Dezember 2004 nur im Hinblick auf eine Heimunterbringung gewährt wurde. Im Dezember 2006 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Magdeburg seine Rehabilitierung in Bezug auf die übrige Unterbringung in Kinderheimen der DDR; der Antrag wurde vom Landgericht Magdeburg zurückgewiesen. Begründet wurde die Zurückweisung u.a. mit der örtlichen Unzuständigkeit, aber auch damit, dass eine Freiheitsentziehung nach § 2 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) bei Kinderheimen und sonstigen Einrichtungen der Jugendhilfe der DDR ohne Strafcharakter in der Regel nicht vorgelegen habe. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass die Einweisung in ein Kinderheim unter Zugrundelegung des Standes der pädagogischen Wissenschaften im Jahr 1961 mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar gewesen sei. Es fänden sich keine Hinweise für politische Verfolgung. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Naumburg zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Menschenwürde nach Art. 1 GG sowie seines Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 GG und des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG im Hinblick auf die ihm widerfahrene Behandlung in den verschiedenen Heimen. Die 2. Kammer des Zweiten Senats hat den Beschluss aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Naumburg zurückverwiesen, weil die Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot verletzt. Die durch das Oberlandesgericht vorgenommene enge Auslegung, nur Maßnahmen, die durch eine strafrechtlich relevante Tat veranlasst worden seien, können nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz rehabilitiert werden, hält verfassungsrechtlichen Anforde-rungen nicht stand. Diese Auslegung des § 2 StrRehaG ist sinnwidrig und führt im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung in § 1 Abs. 1 StrRehaG auch über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu einer unzulässigen Beschränkung der Rehabilitierung von Freiheitsentziehungen auf Fälle, denen eine von der DDR-Justiz als strafrechtlich relevant eingeordnete Tat zugrunde gelegen hat. Mit dieser Auslegung wird die gesetzgeberische Absicht zunichte gemacht, Freiheitsentzie-hungen auch außerhalb eines Strafverfahrens und über Einweisungen in psychiat-rische Anstalten hinaus, rehabilitierungsfähig zu machen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird dadurch in nicht vertretbarer, d em gesetzgeberischen Willen entgegenstehender, Weise verengt. Es handelt sich um eine krasse Missdeutung des Inhalts der Norm, die auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 2009.
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Veröffentlicht am
04.06.2009
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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31.07.2022, 06:14 Uhr
Sehr geehrter Herr Köper, Ich habe ihren Artikel über die DDR Kinderheime gelesen und hoffe sie können mir weiter helfen. Ich war von 1984-1990 in einem DDR Kinderheim untergebracht. Grund laut Jugenamt war das meine Zwillingsschwester und ich "unerzogen"waren. Wir waren zu diesem Zeitpunkt 6 Jahre alt. Ein Beschluss bzw die Meldebescheinigung habe ich vorliegen. Die Akte aus dem Kinderheim existiert laut Jugenamt nicht mehr. Ich habe einen Antrag StrRehaG gestellt. Nun bekam ich Antwort, das für diesen Antrag eine Anzeige notwenig ist und auch die Frage ob das damalige Jugenamt über die Missstände aufgeklärt wurde. Nun bin ich überfordert. Wir waren noch jung. Natürlich habe ich zu diesem Zeitpunkt ( und bis heute) keine Anzeige gemacht. Auch meiner Mutter durften wir über die Missstände im Heim nichts sagen. Was kann ich nun machen? Ich bin Mutter von 2 Kindern (9 und 13 Jahre alt), alleinerziehen, Zugbegleiterin beim DB Fernverkehr. 2016 verstarb meine Mutter plötzlich. Ab da an ging es in meinem Leben bergab. Ich litt unter Flashbacks. Dann kam die Scheidung von meinem Mann, dann wurde ich auf der Arbeit untauglich geschrieben durch den Bahnarzt und bin nun im St.Hedwig Krankenhaus untergebracht für psychische Erkrankung mit Doppeldiagnose. Meine Diagnosen sind: ADHS, Suchterkrankung, PTBS und Borderline. Ich habe im Kuni eine Entgiftung gemacht und bin bis heute Abstinent. Diese probleme habe ich druch das Kinderheim bekommen. Es war für mich die einzige Möglichkeit die Kindheit zu vergessen. Leider bin ich diesem Druck nicht mehr gewachsen gewesen. Nun habe ich endlich Hilfe und es geht langsam wieder bergauf. Eine Traumtherapie ist bereits vorgesehen. Was möchte ich Ihnen damit sagen. Ich möchte Gerechtigkeit für all die schlimmen und unerträglichen Dinge die uns im Heim angetan wurden und das über fast 6 Jahre. Können Sie mir weiter helfen? Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen, E.
15.08.2022, 15:47 Uhr
Sehr geehrte Frau E., herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Ich würde Ihnen empfehlen, sich in Ihrem Fall zunächst an den Weissen Ring e.V. zu wenden, um Ihr laufendes Antragsverfahren zu besprechen und sich ggf. - bei Erhalt eines Ablehnungsbescheides - anschließend an einen Sozialverband oder Rechtsanwälte für Sozialrecht am Sitz des für Sie örtlich zuständigen Sozialgerichts. Ich in in OEG-Sachen lediglich vor dem Sozialgericht Hamburg tätig. Ich wünsche Ihnen alles Gute!