Der von Bundesministerin Nahles vorgelegte Gesetzentwurf "zur Rechtsvereinfachung" im 'Hartz-4'-Bereich wird von Fachleuten weitgehend abgelehnt.
So schreiben etwa die Personalräte der Jobcenter - also die Mitarbeiter der Jobcenter selbst: "Nach all dem müssen die Jobcenterpersonalräte konstatieren, dass es sich beim Entwurf zu einem Neunten Gesetz zur Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung um keine Reform handelt, noch nicht einmal ein Reförmchen und in der Summe auch nicht um Rechtsvereinfachungen. [...]Dieser Gesetzesentwurf ist in keiner Weise geeignet, Personalressourcen freizusetzen [...]. Der Gesetzesentwurf [...] ist für die Belegschaften der gemeinsamen Einrichtungen daher nicht nur enttäuschend, er ist ärgerlich und selbst eine weitere Belastung."
Der Deutsche Richterbund schreibt: "Die Einführung eines Regelbewilligungszeitraums von 12 Monaten ist abzulehnen. Sowohl Widerspruchs- als auch Klageverfahren werden in vielen Fällen erheblich komplexer und in der Bearbeitung unhandlicher; entsprechend verlängern sich die Verfahrenszeiten. [Das Sozialgerichtsgesetz wurde zuletzt 2013 geändert, Anmk. d. Verf.], ausdrücklich um die Belastung für die Sozialgerichtsbarkeit durch eine Vielzahl von Verfahren insbesondere im Bereich des SGB II zu verringern. [...] Das damit Erreichte würde durch eine Verlängerung des Bewilligungszeitraumes wieder zunichte gemacht.
Schon diese Stellungnahmen derjenigen, die in der Praxis tagtäglich mit dem Sozialgesetzbuch II arbeiten, zeigen, dass es sich bei dem Gesetzentwurf mitnichten um eine "Rechtsvereinfachung" handelt, sondern im Gegenteil ganz erhebliche fachliche Bedenken bestehen.
Der Gesetzentwurf enthält eine erhebliche Verschärfung zum sog. "Überprüfungsantrag".
Nach derzeitiger (bereits verschärfter Rechtslage) reichen Überprüfungsanträge maximal 1 Jahr zurück, d.h. Betroffene können damit bei einer rechtswidrigen Leistungsentscheidung des Jobcenters immerhin eine Nachzahlung für die letzten 12 Monate erreichen. Dies ist z.B. wichtig, wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die Regelsätze verfassungswidrig niedrig sind. Nach dem Gesetzentwurf sollen Überprüfungsanträge in solchen Fällen maximal bis zum Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht zurückreichen. Das bedeutet: Die Bundesregierung kann mit dieser Änderung ohne großes Risiko verfassungswidrig niedrige Regelsätze festsetzen. Sollte sich nach Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht herausstellen, dass diese zu niedrig sind, müssen die Jobcenter ihre Leistungen erst ab dem Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung erhöhen. Nachzahlungen gibt es dann nur für diejenigen Betroffenen, die rein vorsorglich Widerspruch erhoben haben - also nur einen Bruchteil der Leistungsempfänger. Allen anderen der derzeit ca. 6,04 Millionen Leistungsempfängern nutzt dann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Vergangenheit nichts, auch wenn dieses z.B. feststellen sollte, dass Kinder deutlich mehr hätten bekommen müssen. B e i s p i e l: Derzeit werden statistisch gegen ca. 5,6 % der Leistungsbescheide Widersprüche erhoben, das sind ca. 181.500 Widersprüche (siehe Widerspruchsstatistik der Bundesagentur für Arbeit). Ein Leistungsbescheid betrifft durchschnittlich ca. 1,86 Personen (Leistungsberechtigte ./. Bedarfsgemeinschaften, siehe Statistik der Bundesagentur für Arbeit). Stellt das Bundesverfassunngsgericht nun z.B. fest, dass jedem Leistungsberechtigten eigentlich monatlich 5,00 € mehr zugestanden hätten und wird diese Meldung in den Medien verbreitet, so müssten die Jobcenter nach der neuen Regelung nur für die Widerspruchsführer, also ca. 338.000 Personen jeweils 5,00 € monatlich nachzahlen (also ca. 1,7 Millionen € monatlich) und nicht noch für all diejenigen, die auf die Nachricht vom Urteil des Bundesverfassungsgericht Überprüfungsanträge stellen. Für die Bundesregierung geht es bei diesen zunächst unscheinbaren Änderungen also um Millioneneinsparungen für den Fall negativer Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen.
Kommentare
Kommentar schreiben
Veröffentlicht am
17.03.2016
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
Hinweis
Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.
Urheber
© Rechtsanwalt Köper (Gilt nicht für gekennzeichnete Pressemitteilungen, Medieninformationen und Gerichtsentscheidungen)
Seien Sie die erste Person, die einen Kommentar zu diesem Artikel abgibt.