Eine Gesundheitsstörung ist bei der Bemessung des Grades der Behinderung (GdB) dann zu berücksichtigen, wenn die Dauer der Beeinträchtigung prognostisch 6 Monate überschreitet. Ob der Zustand tatsächlich schon sechs Monate vorliegt, ist dabei unerheblich.

In dem Rechtsstreit ging es um die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin. Bei dieser wurde von dem Beklagten wegen einer Colitis ulcerosa (einer chronischen Darmerkrankung) und einem psychovegetativen Syndrom mit depressiver Symptomatik ein GdB von 40 festgestellt.

Aufgrund angeforderter Sachverständigengutachten verurteilte das Sozialgericht (SG) den Beklagten zur Feststellung einer Osteoporose als "weiterer Behinderung" und eines GdB von 50.

Beide Beteiligten legten Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) ließ sich ein internistisches Gutachten durch einen weiteren Sachverständigen erstatten. Dieser schätzte die Colitis ulcerosa - anders als der vom SG gehörte Sachverständige - mit einem Einzel-GdB von nur 30 statt 50 ein, berichtete dafür aber von einer inzwischen aufgetretenen Diabetes mellitus, dessen Auswirkungen auf den GdB noch nicht eingeschätzt werden könnten. Daraufhin änderte das LSG auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG dahingehend ab, dass der GdB weiterhin nur 40 betrage und wies die Berufung der Klägerin, die die Feststellung eines GdB von 60 begehrt hatte, zurück.

Auf die Revision der Klägerin verwies das Bundessozialgericht (BSG) die Sache an das LSG zurück, damit dieses bei seiner Entscheidung den zwischenzeitlich aufgetretenen Diabetes mellitus mitberücksichtigen könne.

In den daraufhin vom LSG eingeholten ärztlichen Befunden kam einerseits heraus, dass die Klägerin seit dem 14. September 1998 zusätzlich einen schmerzhaften Fersensporn habe, der solche Schmerzen verursachen könne, "dass man hinken müsse und nur noch den Vorfußbereich belasten könne".

Das LSG begründete sein wenig verändertes Urteil damit, dass die Diabetes mellitus nur einen Einzel-GdB von 10 verursache und damit das Ausmaß der Gesamtbehinderung nicht wesentlich erhöhe. Zudem sei die nunmehr noch geltend gemachte Gesundheitsstörung "Fersensporn rechts" schon deshalb nicht als Behinderung anzuerkennen, weil sie noch nicht länger als sechs Monate vorläge. Auch lehnte das Gericht hinsichtlich der Darmerkrankung den Ehemann der Klägerin als Zeugen für die erhöhte Stuhlfrequenz ab, da dieser „nach der Lebenserfahrung nicht in der Lage sei, dazu sachdienliche Aussagen zu machen“.

Das BSG ließ die erneute Revision der Klägerin zu und urteilte am 12. April 2000 zugunsten der Klägerin.

Da es sich bei der Klage um eine Verpflichtungsklage handelt, sei der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich. Das LSG habe also bei der Überprüfung der angefochtenen Bescheide alle bis zum 18. Februar 1999 eingetretenen entscheidungserheblichen Umstände und damit auch das Auftreten des Fersensporns im September 1998 und die durch diese Erkrankung etwa hervorgerufene Funktionsbeeinträchtigung berücksichtigen müssen.

Hierbei sei nicht die seit Beginn der Erkrankung oder gar seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung abgelaufene Zeit entscheidend, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung. Es sei also eine Prognose zu stellen, ob die Funktionsbeeinträchtigung länger als sechs Monate anhalten würde.

Auch hätte das LSG zudem Veranlassung gehabt, den Ehemann der Klägerin zu den für die Beurteilung der Schwere der Colitis ulcerosa erheblichen Umständen - insbesondere zur Stuhlfrequenz - anzuhören. Die Frage, ob die Aussage dieses Zeugen als Grundlage für ein späteres Sachverständigengutachten verwertbar sei, ließe sich nicht im Voraus beantworten.


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Veröffentlicht am

04.12.2014

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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