Das Hessische Landessozialgericht hat in einem Urteil von gestern entschieden, dass die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten für ein sog. Speedy-Tandem (TM) für ein schwerbehindertes Kind nicht zu übernehmen hat. Die Entscheidung mag verwundern, eine Revision wurde jedoch nicht zugelassen. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Ein 12-jähriger Junge leidet an einer spastischen Cerebralparese sowie einer schweren Sehstörung. Zur Fortbewegung benötigt er einen Rollstuhl, den er aufgrund seiner Behinderung jedoch nicht selbstständig bewegen kann. Daher verordnete ihm seine Hausärztin ein sogenanntes Speedy-Tandem (TM). Mit diesem kann man den Rollstuhl an ein Fahrrad ankoppeln und durch Bewegen des Fahrrades auch gleichzeitig den Rollstuhl mitziehen.
Nachdem der Sozialhilfeträger hierfür Eingliederungshilfe für behinderte Menschen versagt hatte, lehnte auch die gesetzliche Krankenkasse die Übernahme der Kosten in Höhe von ca. 3.700 Euro ab. Zur Begründung führte sie aus, dass kompensatorisches Fahrradfahren nicht zu den Grundbedürfnissen gehöre, für deren Sicherstellung die Krankenversicherung einstehen müsse. Zudem sei die Integration des behinderten Jungen in die Gruppe der gleichaltrigen Jugendlichen nicht durch ein Speedy-Tandem (TM) erreichbar. Die Eltern hingegen machten deutlich, dass das Speedy-Tandem (TM) die Teilnahme ihres Sohnes an den Fahrradausflügen mit der Familie und Freunden ermögliche, in der Schule genutzt werden könne und seine Integration in den Kreis nichtbehinderter Jugendlicher fördere.
Das Landessozialgericht hat in diesem Kontext in Anschluss an die Rechtsprechungd des Bundessozialgerichts entschieden, dass zum Behinderungsausgleich auch das Erschließen eines eigenen persönlichen Freiraums gehöre. Dies sei zum Beispiel beim Fahren mit einem E-Rollstuhl der Fall, weshalb die Kostenübernahme regelmäßig die Krankenversicherung treffe. Im hier zugrunde liegenden Fall ist der Junge jedoch selbst nicht in der Lage, seinen persönlichen Bereich zu erschließen. Vielmehr ist er stets auf fremde Hilfe angewiesen. Dogmatisch mag insoweit der Ansatz des Gerichts konsequent sein. Es fragt sich aber, ob schwerstbehinderte Kinder insoweit wirklich schlechter gestellt werden dürfen. Der hier gewählte Anknüpfungspunkt erscheint auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht zumindest sehr zweifelhaft.
Es bleibt daher abzuwarten, ob in einem vergleichbaren Verfahren eine Revision Erfolg haben kann. Es empfiehlt sich je nach Einzelfall jedenfalls die Prüfung eines Widerspruchs und einer Klage. Kontaktieren Sie mich hierzu gerne.
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.06.2012.
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Veröffentlicht am
29.06.2012
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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