Das Landessozialgericht Hamburg hat in einem aktuellen Verfahren entschieden, dass eine junge Frau, die unter dem sogenannten Poland-Syndrom leidet, einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine operative Mammakorrektur hat.

Die 1988 geborene Klägerin leidet unter einem Poland-Syndrom, also unter einer angeborenen Fehlbildung der Thoraxwand, bei der rechtsseitig der Brustmuskel fehlt und die Brustdrüse fehlgebildet ist. Die Folge ist eine massive Asymmetrie ihrer Brüste. Sie wird daher seit vielen Jahren von ihrer Krankenversicherung mit einer Brustprothese versorgt, die in etwa jährlichen Abständen ausgetauscht wird. Nunmehr begehrt sie die Kostenübernahme für eine operative angleichende Mammakorrektur.

Das Gericht führte aus: Nach § 27 Absatz 1 Sozialgesetzbuch 5 haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Unter einer Krankheit versteht man dabei einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand. Ein derartiger regelwidriger Zustand liegt bei der Klägerin vor. Zwar ist es so, dass es bei der weiblichen Brust von Natur aus völlig unterschiedliche Entwicklungsumfänge gibt, sodass es grundsätzlich weder möglich noch angezeigt ist, für die weibliche Brustgröße oder -form einen Normbereich festzulegen und davon abweichende Erscheinungsbilder als krankhaft zu bewerten. Bei der Klägerin liegt jedoch gerade keine Normvariante vor, wie sie bei gesunden Frauen vorkommen kann, sondern bei ihr besteht eine angeborene körperliche Störung in Form des Poland-Syndroms. Dieses stellt eine komplexe Fehlbildung der Thoraxwand mit rechtsseitigem Fehlen Muskulatur sowie einer Fehlbildung der Brustdrüse dar und ist somit eine Krankheit.

Allerdings ist, soweit es um die Behandlung der Auswirkungen von Krankheiten geht, die nicht unmittelbar zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen führen, eine gewisse Erheblichkeit dieser Auswirkungen zu verlangen, um eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung auszulösen. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen bestand das Poland-Syndrom bei der Klägerin in einer starken Ausprägung. Das völlige Fehlen des Brustmuskels und die Fehlbildung der Brustdrüse auf der rechten Seite hätten zudem zu einer massiven Asymmetrie der Brüste geführt, was auch aus den von der Klägerin eingereichten Fotografien ihres Oberkörpers ersichtlich war. Diese ist im Alltag auch nicht ohne Weiteres durchgängig zu kaschieren. Zwar könne sie unter weiter Kleidung zu verbergen sein, das Tragen figurnaher Kleidung, wie es insbesondere angesichts des Alters der Klägerin durchaus üblich ist, dürfte dagegen nicht in Frage kommen. Hinzu kommt, dass das Tragen kaschierender Kleidung in vielen Bereichen des täglichen Lebens gar nicht möglich ist. Folglich war auch von einer entsprechenden Erheblichkeit auszugehen.

Die Klage hatte damit zu Recht Erfolg.

Kontaktieren Sie mich bei Fragen zu solchen oder vergleichbaren Fällen gerne.

Foto: ©istockphoto.com/ Beyza Sultan Durna

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Kommentare

Vater
22.02.2013, 20:45 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren, meineTochter ist im Jahre 2002 auf die Welt gekommen.Wir mussten leider sehr früh feststellen das sie an dem Poland-Syndrom leidet.Bei ihr fehlt der linke Brustmuskel.Eine Asymetrie ist jetzt schon sichtbar.Wir machen uns grosse Sorgen ,das sie durch diese Krankheit eine gestörte Pubertät durchmachen wird.Haben wir die Chance das die Krankenkasse die Behandlung durch einen Plastischen Chirurgen übernimmt. Wir wären Ihnen sehr dankbar wenn Sie zurüchschreiben. Mit freundlichen Grüssen

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
25.02.2013, 10:32 Uhr

Sehr geehrter Fragesteller, wie Sie dem o.g. Gerichtsurteil entnehmen können, besteht in begründeten Fällen durchaus die Möglichkeit der Kostenübernahme der Krankenkasse für eine solche Operation. Ausgangspunkt ist die Befürwortung eines solchen Eingriffs durch die behandelnden Ärzte. Die Kostenübernahme ist dann bei der Krankenkasse zu beantragen, entweder über den Arzt oder direkt. Falls Sie einen Ablehnungsbescheid von der Krankenkasse erhalten, kontaktieren Sie mich gerne. Mit freundlichen Grüßen RA Köper

S.
13.09.2015, 13:49 Uhr

Hallo, meine Tochter hat das Poland Syndrom seit ihrer Geburt, also direkt nach der Geburt hat man gesehen, dass es nicht normal ist. Heute ist Sie 14 Jahre alt und es fehlt Ihr auf der rechten Seite komplett die Brust und über der Brust auch der Muskel unter der Achsel. Sie leidet darunter, das ist klar und jetzt wollen wir uns beraten mit unserem Arzt, wie es aussehen wird, denn wir möchten erst ein OP, wenn Sie erwachsen ist. Ich möchte heute hier nur wissen, welche Chance wir haben, dass die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Danke für die Antwort Mit freundlichen Grüßen, Familie S.

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
08.10.2015, 18:08 Uhr

Sehr geehrte Familie S., es bestehen durchaus Chancen einer Kostenübernahme - man kann sich gegenüber der Krankenkasse auf das Urteil berufen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Krankenkasse erst einmal ablehnt und freiwillig nichts zahlt. Es muss dann ggf. ein Widerspruch- oder Klageverfahren geführt werden. Der Ausgang von Klageverfahren in solchen Angelegenheiten hängt dann sowohl von den einzuholenden medizinischen Gutachten ab, als auch von der regionalen Rechtsprechung, die unterschiedlich sein kann. Da das Bundessozialgericht zum Poland-Syndrom bislang nicht entschieden hat, kann es zu abweichenden Entscheidungen anderer Landessozialgerichte kommen. Es lohnt sich aber sicher, um eine Kostenübernahme für Ihre Tochter zu kämpfen.

S.
10.10.2017, 19:18 Uhr

Hallo, auch ich, 34 Jahre, leide an dem Poland Syndrom. Ich trage seit 19 Jahren ein Implantat. Habe vor 10 Jahren meine Tochter gestillt, jetzt leide ich schon wieder massiv unter der Asymmetrie, da die rechte normale Brust sehr klein ist und hängt. War heute im Krankenhaus beim plastischen Chirurgen und habe versucht, meinen Wunsch eines zweiten Implantates zu vermitteln. Er konnte es, nachdem er mich betrachtet hat, gut verstehen...Wie sieht es da aus? Wie groß ist die Chance auf zwei gleich große Brüste? Ich wünsche mir als Frau doch nichts mehr. Lg S

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
11.10.2017, 10:31 Uhr

Sehr geehrte S.,

leider hat zwischenzeitlich das Bundessozialgericht mit Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 35/15 R die o.g. positive Rechtsprechung zur Mammakorrektur beim Poland-Syndrom eingeengt. Das BSG hat dazu ausgeführt:

Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt... Das Erscheinungsbild der Klägerin ist nicht behandlungsbedürftig. Die bei der Klägerin vorhandene anatomische Abweichung wirkt nicht entstellend. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass Betroffene ständig viele Blicke auf sich ziehen, zum Objekt besonderer Beachtung anderer werden und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen drohen, sodass deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt... den Feststellungen (§ 161 Abs 4, § 163 SGG) des SG ist jedoch zu entnehmen, dass bei der Klägerin eine als Entstellung zu bewertende körperliche Auffälligkeit in Alltagssituationen für außenstehende Dritte nicht zu erkennen ist und damit die Erheblichkeitsschwelle nicht erreicht wird.

In diesem Fall hat das BSG die Klage also abgewiesen. Zu solchen, bitteren Entscheidungen zur angeblich nicht entstellenden Missbildungen der weiblichen Brust, denen angeblich "kein Krankheitswert" zukommt, kann als Geschmäckle nur festgestellt werden, dass hier der entscheidende 1. Senat des BSG ausschließlich mit Männern besetzt war. Ein Gastbeitrag von Alice Schwarzer wäre an dieser Stelle schön. Wie Sie in Ihrem Beitrag richtig schreiben, hat die Brust für die Frau wie ebenso andere Geschlechtsorgane für den Mann eine ganz zentrale Bedeutung und ist es geradezu zynisch zu sagen, massiven Missbildungen in diesem Bereich käme kein Krankheitswert zu, weil diese ja nicht entstellend wirkten, schließlich würden dies Dritte "im Vorbeigehen" nicht bemerken. Natürlich sehen so etwas Dritte nicht im Vorbeigehen, weil wir uns zu bekleiden pflegen.

S.
11.10.2017, 14:01 Uhr

Wird das in jedem Fall abgelehnt? Oder kann es sein das die Krankenkasse auch eine Ausnahme macht? Lg

Z.
29.03.2019, 20:53 Uhr

Hallo, ich leide am Polandsyndrom, 2005 hatte ich die erste OP Implantat rechte Brust linke Brust Straffung hat die Krankenkasse übernommen. 2014 Implantatswechsel hat die Krankenkasse auch uebernommen. Nun hab ich das Problem, das mein Silikonkissen wohl verrutscht ist und ich auch Schmerzen habe. War im Brustzentrum und die meinten, ein Implantatwechsel wäre dringendst erforderlich. Nun läuft der Antrag, meine Sorge ist jetzt, dass aufeinmal alle Unterlagen, die mit meiner Brust zutun haben, zum MDK gehen sollen. Können die jetzt eine Kostenübernahme verweigern? Lg

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
02.04.2019, 13:06 Uhr

Sehr geehrte Z., die Einschaltung des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) ist in diesen Fällen ein üblicher Vorgang. Die Krankenkassen wird dann nach der Stellungnahme des MDK über Ihren Widerspruch entscheiden. Sowohl eine Bewilligung, als auch eine Ablehnung sind dabei möglich - die Einschaltung des MDK als solches sagt noch nichts über den Erfolg aus. MfG RA Köper

El
05.06.2019, 15:24 Uhr

Liebe Grüße, Ich leide als Mann am Poland Syndrom, kann man diese Rechtsprechung auch auf Männer beziehen vielen Dank.

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
07.06.2019, 11:33 Uhr

Sehr geehrter Herr E, grundsätzlich kann man das, es bleibt aber nach wie vor die Frage der "körperlichen Auffälligkeit".

A.
22.02.2022, 18:37 Uhr

Guten Tag, ich bin männlich , 38 Jahre alte und die private KV hat die Übernahme der Kosten bereits einmal abgelehnt. Nun nach 2 Jahren erteilte mir das Krankenhaus erneut eine Diagnose um es noch mal zu probieren. Wenn es erneut abgelehnt wird, erwäge ich über Sie zu versuchen. Wie hoch wären die Kosten hierfür?

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
01.03.2022, 13:10 Uhr

Sehr geehrter Herr A., bei privatversicherungsrechtlichen Streitigkeiten richten sich die Anwaltskosten üblicherweise nach dem sog. Streitwert, das wären im Falle einer Operation die Operationskosten, die beim Krankenhaus zu erfragen wären. Aus anwaltlicher Sicht lassen sich solche Streitigkeiten aber häufig nur auf Stundenhonorarbasis bearbeiten. Wenn man privat krankenversichert sind, sollte man nach Möglichkeit auch eine (einfache) Rechtsschutzversicherung abschließen und zwar b e v o r man eine Leistung beantragt. Die Rechtsschutzversicherung kann dann die sog. Streitwertgebühren übernehmen. Wenn man den Streitwert in etwa weiß, kann man im Internet mit einem "Prozesskostenrechner", z.B. vom Deutschen Anwaltverein die Rechtsanwalts- und ggf. Gerichtskosten überschlägig berechnen. Zunächst schreibt der Anwalt die Gegenseite an und fordert zur Zahlung oder Kostenübernahme auf. Das nennt sich dann "außergerichtliche Vertretung". Wenn das nicht zum Erfolg führt, kann man klagen, was i.d.R. dann deutlich teurer ist. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg, mfG RA Köper


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Veröffentlicht am

28.05.2012

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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