Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat kürzlich entschieden, dass schwere Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen bei jungen Menschen ein Recht zur kostenlosen Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung ohne Altersgrenze geben können.

In dem entschiedenen Fall ging es um einen 33-jährigen Mann, der nach dem Selbstmord des Vaters drogensüchtig wurde. Er konsumierte seit dem 14. Lebensjahr Kokain, LSD, Ecstasy, Cannabis, zeitweise auch Heroin. Die Hauptschule brach er mit 16 Jahren ohne Abschluss ab und war in der Folgezeit wegen Diebstählen und Einbrüchen mehrfach in Haft. Schließlich musste der Mann wegen drogeninduzierten psychischen Störung und paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie in einer Universitätsklinik behandelt. Schließlich wurde auch eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen G, B und H anerkannt. Eine Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Deutsche Rentenversicherung ab, weil die notwendige Versicherungszeit nicht erfüllt war. Zunächst war der Mann daher freiwillig versichert. Die Versicherungsbeiträge wären mangels Einkommen auch in Zukunft vom Sozialamt zu zahlen gewesen.
Die gerichtliche Betreuerin beantragte sodann eine kostenlose Familienversicherung über die Krankenversicherung der Mutter. Darauf folgte jedoch eine Ablehnung der Krankenkasse mit der Begründung, der Mann hätte nach der gesetzlichen Regelung in § 10 Sozialgesetzbuch 5 schon zu Beginn des 23. Lebensjahres als behinderter Mensch außerstande sein müssen, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.
Nachdem das Sozialgericht die Klage in der ersten Instanz abgewiesen hatte, verurteilte das Landessozialgericht die Krankenkasse zur Durchführung der Familienversicherung.
Es muss nicht vor dem 23. Lebensjahr für die Zukunft feststehen, dass der Lebensunterhalt nicht bestritten werden kann. Entscheidend ist, dass vor dem 23. Lebensjahr zu einem beliebigen Zeitpunkt gleichzeitig Familienversicherung und eine behinderungsbedingte Erwerbsunfähigkeit vorliegt.
Das Gericht war nach der Leidensgeschichte des Mannes davon überzeugt, dass dieser bereits im Alter von ca. 14 Jahren als behindert einzustufen war. Im Vergleich zu gesunden Jugendlichen sei es dem Mann nie gelungen, ein strukturiertes Leben zu führen. Schon 2002, also vor dem 23. Lebenjahr, sei eine stationäre Behandlung wegen akuter psychotischer Symptome erfolgt. Im Entlassungsbericht der Universitätsklinik stünde, der Mann habe bereits seit 3 bis 4 Monaten das Gefühl, dass Freunde und Bekannte hinter seinem Rücken ein Komplott gegen ihn schmieden würden. Er habe optische Halluzinationen gehabt, im Spiegel seinen toten Vater gesehen, starke Farben gesehen und Stimmen gehört. Er habe unter Schlafstörungen Antriebsverlust, depressiver Verstimmung und Angst vor dem Alleinsein gelitten. Damit stand für das Gericht fest, dass Symptome der psychischen Störung, die sich als paranoid-halluzinatorische Schizophrenie erwies, bereits vor dem 23. Lebensjahr vorlag (Denkstörungen, Verfolgungs- und Beziehungswahn, akustische und optische Halluzinationen). Dem stünde auch nicht entgegen, dass der Mann vor der Klinikbehandlung nicht in nervenärztlicher Behandlung war. Bei einer Antriebsstörung und fehlender Krankheitseinsicht sei eine unterbliebene Behandlung nicht untypisch.
Das Urteil ist rechtskräftig.
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Veröffentlicht am
01.06.2016
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Rechtsanwalt David Andreas Köper
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