Das Landesarbeitsgericht Hessen hat in konsequenter Anwendung von § 82 Sozialgesetzbuch 9 entschieden, dass einem schwerbehinderten Bewerber um einen Arbeitsplatz bei einem öffentlichen Arbeitgeber ein Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zusteht, wenn dieser nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird.
Der Kläger war mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehindert und bewarb sich um die Stelle als Pförtner bei einer dem Bundesministerium des Inneren unterstellten Behörde, folglich einem öffentlichen Arbeitgeber im Sinne von § 82 Sozialgesetzbuch 9. Obgleich er dartun konnte, dass er für die ausgeschriebene Stelle fachlich hinreichend geeignet war und auch seine Behinderung einer vollumfassenden Ausübung nicht entgegenstehe, wurde er nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Er folgerte daraus, dass seine angegebene Behinderung der – gleichsam unausgesprochene – Grund für diese Nichtberücksichtigung sei und erhob Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern.
Diese war zweitinstanzlich vor dem Landesarbeitsgericht Hessen erfolgreich. Dem Kläger steht nach Auffassung des Gerichts ein Anspruch aus § 15 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit § 82 Sozialgesetzbuch 9 zu. Der Kläger sei als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis gemäß § 6 Absatz 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Beschäftigter im Sinne der Norm. Er sei darüber hinaus unstreitig schwerbehindert im Sinne des Sozialgesetzbuchs 9 und damit behindert im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Nach dem Vorbringen der Parteien sei zudem davon auszugehen, dass die Beklagte den Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt habe. Nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast müsse der schwerbehinderte Bewerber darlegen, dass er beim Auswahl- bzw. Einstellungsverfahren wegen seiner Behinderung benachteiligt worden ist. Seiner Darlegungs- und Beweispflicht genügt er, wenn er im Streitfall Indizien beweist, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Solche Indizientatsachen können auch Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften § 82 Sozialgesetzbuch 9 sein. Das Gericht müsse dabei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Überzeugung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen der Behinderung und dem Nachteil gewinnen. In diesem Fall trage sodann die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutze vor Benachteiligung vorgelegen hat. Die folglich hier durch die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gemäß § 82 Satz 2 begründete Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen der Behinderung habe die Beklagte nicht entkräften können.
Die Entscheidung berücksichtigt insoweit die eindeutige Intention des Gesetzgebers. Ein schwerbehinderter Bewerber muss nach unzweifelhafter Auslegung des Gesetzeswortlautes bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen – selbst dann, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Auch wenn sich der Öffentliche Arbeitgeber auf Grund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl kommt, muss er den Bewerber nach dem Gesetzesziel einladen. Wird ihm die Möglichkeit, seine Eignung persönlich darzutun, genommen, liegt darin ein Verstoß gegen die einschlägigen Normen, die gerade die Herstellung gleicher Bewerbungschancen von Behinderten gegenüber anderen nicht behinderten Bewerbern für erforderlich halten.
Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, diese ist beim Bundesarbeitsgericht anhängig.
Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 05.10.2010.
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Veröffentlicht am
17.01.2011
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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