Das Amtsgericht Warendorf hat in einer Entscheidung die Elternunterhaltsforderung eines Sozialamts wegen grober Unbilligkeit zurückgewiesen, weil das betroffene Kind von seinen Eltern im Alter von 6 Jahren gegen seinen Willen ohne Not weggegeben wurde und nicht mehr zu den Eltern zurück durfte.

Trauriges Kind

In dem Entschiedenen Fall ging es um eine Tochter, die in eine Großfamilie im ländlichen Bereich mit sieben Kindern geboren wurde und die die Eltern mit 6 Jahren zusammen mit dem ältereren Bruder zu Pflegeeltern gaben, um sich nicht mehr um die beiden Kindern kümmern zu müssen. Wenn das Kind bei seinen Eltern zu Besuch sein durfte, bat es seine Eltern jedesmal darum, nach Hause zurückkommen zu dürfen, was die Eltern aber ablehnten. Erst als die Tochter volljährig wurde, schrieb die Mutter, dass sie immer gewusst habe, dass es ihr nicht gut gehe. Könnte sie die Uhr zurückdrehen, würde sie es anders machen.

Wegen der groben Vernachlässigung und weil die Tochter auch bei ihren Pflegeeltern keine Zuneigung erfahren hatte, musste die Tochter später eine Psychotherapie machen. Während des gesamten Erwachsenenalters gab es nur einen losen Kontakt zwischen den Familienmitgliedern. Dekaden später kam die Mutter in ein Altenheim, woraufhin das Sozialamt sich mit einer Unterhaltsforderung an die Tochter wandte. Die übrigen Geschwister waren "nicht leistungsfähig", konnten also nicht zahlen. Die Tochter, die als Krankenschwester arbeitete und netto 2.170 € und nach Abzug anerkennungsfähiger Ausgaben 1.970,07 € verdiente, sollte sich demgegenüber an den Heimkosten mit monatlich 110 € beteiligen.

Die Tochter wies die Elternunterhaltsforderung des Sozialamts jedoch zu Recht zurück, wie das Amtsgericht Warendorf entschied. Das Gericht führte u.a. aus:

Nach dem für das Gericht verstellbaren Sachverhalt stellt die Weggabe der Antragsgegnerin in der konkret vorliegenden Konstellation jedoch eine sonstige schwere Verfehlung **nach § 1611 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB dar. Eine schwere Verfehlung in diesem Sinne kommt bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger persönlicher Belange des jetzt unterhaltspflichtigen Kindes in Betracht. Auch nach der Inpflegegabe des Kindes mit dem Bruder gehörte es weiter zu den **Pflichten der Eltern – und damit auch zu den Pflichten der Mutter – sich um das Kind zu kümmern, an seinem Leben teilzunehmen, ihm bei Problemen und Schwierigkeiten zur Seite zu stehen und ihm die Gewissheit zu vermitteln, dass in Liebe und Zuneigung verbundene Eltern für es da sind (BGH, Urteil vom 19. Mai 2004,12 ZR 304 / 02, Entscheidungsgründe 2a)

Dies hätten die Eltern der Tochter offensichtlich nicht getan, sondern ihre Tochter weggegeben und sich nicht mehr um sie gekümmert und zwar ohne Not. Die Eltern hätten bei Weggabe ihre Kindes keine gesundheitlichen Probleme gehabt, es habe auch keine finanzielle Notlage vorgelegen. Außerdem hätten die Eltern den deutlich geäußerten Kindeswillen gebrochen und den Wunsch, zu den Eltern zurückkehren zu wollen, dauerhaft ignoriert. Der Bruder, mit dem die Tochter weggegeben worden sei, sei bei den Pflegeeltern als Hoferbe der Eltern auch stets bevorzugt worden. Die später notwendige Psychotherapie zeige auch, wie sehr die Tochter unter der Weggabe gelitten habe. Schließlich schrieb das Gericht:

Wenn die Eltern vor diesem Hintergrund bewusst auf eine Rückholung der Antragsgegnerin verzichtet haben, stellt dies einen so großen Mangel in der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung und der menschlichen Rücksichtnahme dar, dass die jetzige Inanspruchnahme der Tochter auf Unterhalt grob unbillig erscheint.

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Veröffentlicht am

23.08.2016

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.

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