Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte im Falle eines Malers und Lackierers darüber zu entschieden, ob das Chemical Sensitivity-Syndrom, welches gemeinhin auch verkürzt als Chemikalienunverträglichkeit bezeichnet wird, als Wie-Berufskrankheit im Sinne des gesetzlichen Unfallversicherungsrecht anerkannt werden kann.

Der Kläger arbeitete seit 1981 als Maler. In Hinblick auf vom Kläger geäußerte Gesichtsschmerzen mit Pelzigkeit und Anschwellung sowie Trigeminusneuralgie entstand der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit. Der Präventionsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft berichtete daraufhin, dass der Kläger seit dem Beginn seiner Tätigkeit als Maler und Lackierer hauptsächlich sogenannte Malerlacke (Alkydharzfarben) und Dispersionsfarben verarbeitet habe. Hierbei habe es sich anfänglich zu 70 Prozent bis 80 Prozent um lösemittelhaltige, nicht entaromatisierte Farben gehandelt. Zwar würden mittlerweile überwiegend aromatenfreie Farben verwendet. Allerdings mache der Kläger gerade diese aromatenfreie Produkte für seine gesundheitlichen Probleme verantwortlich. Nach seinen Angaben reiche bereits das Hineinriechen in eines dieser Produkte, um typische Reaktionen hervorzurufen. Als Versicherungsfall in Frage kam insoweit vor allem die BK Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische). Die in der wissenschaftlichen Begründung zu der BK genannten Gefahrstoff (Capalac Dickschichtlack von Caparol; B. Flächenlasur 620, B. Gel-Lasur 510, B. Impredur Seidenmattlack 880, B. Impredur Ventillack 822), wurden vom Kläger jedoch nachweislich nicht verwendet.

Der Kläger leide, so schildert es das eingeholte Sachverständigengutachten, nach eigenen Angaben unter gehäuften Kopfschmerzen, einem Taubheitsgefühl der Hände und Füße, Kraftlosigkeit in den Armen und Beinen und einem Zittern der Hände. Er leide allerdings nicht an Vergesslichkeit oder Konzentrationsproblemen. Seit Tätigkeitsbeginn 1981 habe er nach eigenen Angaben alle typischen Tätigkeiten eines Malers und Lackierers ausgeführt, wobei es bei Kontakten mit Kleistern zu Hautrötungen und Juckreizen gekommen sei. Beim Umgang mit Farben und Lacken seien ihm keine Hautveränderungen aufgefallen. Im Mai 2005 habe er erstmals ein Kribbeln sowie ein Taubheits- und Pelzigkeitsgefühl im Bereich der rechten Wange bemerkt, außerdem sei es zu einer Trockenheit im Mund gekommen. Diese Beschwerden seien nur beim Verstreichen von sogenannten aromatenfreien Lacken aufgetreten, welche es erst seit einigen Jahren gebe.

Der Sachverständige kam schließlich zu dem Ergebnis, dass der vermutete Zusammenhang mit aromatenfreien Lacken sich bei genauer Betrachtung der chemischen Zusammensetzung nicht ohne Weiteres bestätigen lasse. Vielmehr sei davon auszugehen, dass auch Produkte mit aromatischen Kohlenwasserstoffen die Beschwerden ausgelöst hätten. Daraufhin lehnte die Berufsgenossenschaft den Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit oder Wie-Berufskrankheit ab. Hiergegen erhob der Kläger erfolglos Widerspruch und schließlich Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen. Nachdem dieses die Ansicht der Berufsgenossenschaft bestätigt hatte, ging er in die Berufung vor das Landessozialgericht Baden-Württemberg. Auch hier hatte er jedoch keinen Erfolg.

Das Gericht führte letztlich in seiner Urteilsbegründung aus, dass weder die BK Nr. 1317 noch die BK Nr. 1303 hier einschlägig seien und auch das Vorliegen einer Wie-Berufskrankheit insoweit verneint werden müsse. Letzteres folge daraus, dass übereinstimmend in den Gutachten darauf hingewiesen worden sei, dass eine erhöhte Gefahr, dass Maler und Lackierer an einer Trigeminusneuralgie erkranken, wissenschaftlich nicht belegt sei. Für die bei dem Kläger schließlich festgestellten Erkrankungen des sogenannten MCS-Syndroms, das unterschiedlichste Ausprägungen haben kann, komme eine Anerkennung als Wie-BK zurzeit nicht in Betracht. Im Hinblick auf das MCS-Syndrom sei die Entstehung dieser Erkrankung wissenschaftlich nicht gesichert, wozu auf die umfangreichen Ausführungen des Gutachters verwiesen werde. Deshalb sei es auch nicht möglich, diesem Krankheitsbild, bei dem ein erheblicher psychischer Einfluss vermutet wird, mit der erforderlichen Gewissheit einen bestimmenden Einfluss durch eine berufliche Exposition von bestimmten Substanzen zuzuschreiben.

Es bleibt jedoch festzuhalten, dass der Entscheidung keine präjudizielle Wirkung beigemessen werden kann und bei Hauterkrankungen gerade von Malern und Lackierern stets das Vorliegen einer Berufskrankheit geprüft werden sollte. Im Weiteren gilt es dann zu widerlegen, dass tatsächlich ein MCS-Syndrom vorliegt, für welches momentan unfallversicherungsrechtlich wenige Handlungsspielräume bestehen. In diesem Verfahren ist zudem zu beachten, dass viele unterschiedliche Gutachter (auch der Kläger und das Gericht hatten vergleichbare Gutachten in Auftrag gegeben) zu unterschiedlichen Ansichten gekommen sind. Dies unterstreicht die wissenschaftliche Unsicherheit, die solchen Fällen vielfach immanent ist.

Foto: © istockphoto.com/adrian brockwell

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Veröffentlicht am

28.10.2013

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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