Tausendfach werden Berufsunfähigkeitsversicherungen abgeschlossen, ohne Vorerkrankungen korrekt anzugeben. Erst wenn der Leistungsfall eintritt, prüft die Versicherung, welche Vorerkrankungen tatsächlich vorgelegen haben. Findet die Versicherung verschwiegene Vorerkrankungen, erklärt sie häufig die „Anfechtung“ und den „Rücktritt“ vom Versicherungsvertrag.
Das Oberlandesgericht München hat in einer aktuellen Entscheidung über einen eindrücklichen Fall entschieden und einen Berufsunfähigkeitsversicherer trotz erklärter Anfechtung und Rücktritt zu einer Nachzahlung in Höhe von 72.693,16 € und einer laufenden monatlichen Rentenzahlung in Höhe von 1.964,68 € verurteilt.
In dem entschiedenen Fall hatte der Versicherte im Antragsformular bei Abschluss der Versicherung sämtliche Gesundheitsfragen verneint und angegeben „Kein Hausarzt vorhanden“. Tatsächlich war der Versicherte jedoch in der Vergangenheit mehrfach vom Arzt u.a. wegen Rückenleiden krankgeschrieben.
Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung jedoch glaubhaft machen, dass die Krankschreibungen nicht auf tatsächlichen Krankheiten beruhten, sondern von den Ärzten auf seine Bitte hin ohne tatsächliche Untersuchung ausgestellt worden waren. Das Gericht sah es als plausibel und glaubhaft an, dass er tatsächlich damals keine gesundheitlichen Beschwerden gehabt, sondern nur vorgeschützt habe.
Ein „arglistiges Verhalten“ des Versicherten, das vorliegen muss, damit der Versicherer wirksam den Versicherungsvertrag anfechten kann, konnte der Versicherer dem Versicherten nicht nachweisen. Selbst die Tatsache, dass der Versicherte bei Antragstellung angegeben hat, „Kein Hausarzt vorhanden“ reichte dem Gericht zum Nachweis einer Arglist nicht aus. Die Anfechtung des Versicherers war damit unwirksam.
Zwar stellte das Gericht fest, dass die Versicherung wirksam vom Vertrag habe zurücktreten können. Von der Zahlungspflicht sei der Versicherer dadurch jedoch nicht befreit, da die vom Versicherten verschwiegenen Umstände“ keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und den Umfang der Leistung gehabt“ hätten. Denn nach den medizinischen Gutachten sei der Kläger auch „bei völliger Ausklammerung der Wirbelsäulenproblematik aufgrund der Schulter-, Hüft- und Kniebeschwerden sowie des steifen Sprunggelenk zu mindestens 50 % berufsunfähig“.
Das Oberlandesgericht stellte weiter fest, dass ein "Nachschieben" weiterer Rücktrittsgründe nach Ablauf der gesetzlichen Monatsfrist nicht mehr möglich ist.
Kommentar: Man kann es als ausgleichende Gerechtigkeit betrachten, dass der Versicherer, der sich - wie branchenüblich - erst zu einer gründlichen Gesundheitsprüfung bequemte, nachdem der Versicherungsfall eingetreten war und bis dahin gerne Versicherungsbeiträge vereinnahmte, hier trotz zweifelhafter Gesundheitsangaben zur Leistung verurteilt wurde. Zu tatsächlich interessengerechten Ergebnissen kann es langfristig nur dann kommen, wenn die gesetzlichen Anforderungen an die Risikoprüfung der Versicherer im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung deutlich angezogen werden. Die Versicherer müssen gesetzlich verpflichtet werden, schon bei Abschluss des Versicherungsvertrages genauer zu prüfen. Nach der aktuellen Rechtslage ist weder den Versicherungen, noch vielen Versicherungsmaklern daran gelegen, Gesundheitsprüfungen gründlich vorzunehmen. Interessant ist in erster Linie die Vereinnahmung von Provisionen, bzw. Versicherungsbeiträgen. Erst im Versicherungsfall wird die Gesundheit der Versicherten gründlich geprüft, um Gründe zu finden, nicht leisten zu müssen. Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist so für die Versicherten häufig nichts wert.
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Veröffentlicht am
15.07.2013
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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