Das Oberlandesgericht Nürnberg hat unlängst entschieden, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung nur auf einen Beruf verweisen kann, für den ein Arbeitsmarkt in zumutbarer Entfernung tatsächlich existiert. Ein Umzug ist dem Versicherten grundsätzlich nicht zuzumuten, wohl aber ein Pendeln bis zu einer Entfernung von 40 km. Außerdem sei bisher geringfügig Beschäftigten ('Mini-Jobbern') die Annahme einer Vollzeitstelle nicht zumutbar.

In dem entschiedenen Fall ging es um eine Versicherte, die eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung unterhielt. Die Versicherung sollte bei 50-prozentiger Berufsunfähigkeit greifen, allerdings nur dann, wenn die Versicherte außerstande sei, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden könne und ihrer bisherigen Lebensstellung entspreche. Dabei war eine viertjährliche Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 1.589,52 € vereinbart.

Zu gesunden Zeiten war die Versicherte als Arzthelferin tätig und arbeitete im Rahmen eines Minijobs an 2 Arbeitstagen in der Woche je 5 Stunden. Der Arbeitsweg betrug 13 km. Die Berufsunfähigkeit resultierte aus einer psychischen Erkrankung, in deren Folge sie eine panische Angst vor Ansteckung mit Hepatitis oder dem HI-Virus entwickelte.

Die Berufsunfähigkeitsversicherung verweigerte eine Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente und verwies die Versicherte auf eine mögliche Arbeit als Verwaltungsangestellte bei einer Krankenkasse oder einer Klinik.

Die Versicherte machte demgegenüber geltend, sie sei für eine solche Tätigkeit gar nicht qualifiziert und es gebe in ihrer Region auch keinen Arbeitsmarkt für diesen Beruf, jedenfalls nicht unter Zugrundelegung einer Teilzeittätigkeit in einem Umfang von 10 Wochenstunden. Ein Arbeitsplatz in weiterer Entfernung, etwa 50 km, sei ihr im Hinblick auf die dann entstehenden Fahrtkosten nicht zumutbar. Außerdem sei sie auch für eine Tätigkeit als Verwaltungsangestellte berufsunfähig, da ihr das telefonieren und eine Arbeit am PC nur sehr eingeschränkt möglich sein.

Die Klage der Versicherten auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente wurde in der 1. Instanz abgewiesen. Das Oberlandesgericht gab der Klägerin jedoch in der 2. Instanz recht und verurteilte die Versicherung zur Zahlung.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führte das Oberlandesgericht aus: Lässt der Vertrag eine abstrakte Verweisung zu, muss der Versicherungsnehmer vortragen und beweisen, dass er nicht auf eine andere Tätigkeit, die er noch nicht ausübt, verwiesen werden darf. Diesen Negativbeweis kann er jedoch nur dann ordnungsgemäß antreten, wenn der Versicherer den von ihm beanspruchten Vergleichs-/Verweisungsberuf bezüglich der ihn jeweils prägenden Merkmale (insbesondere erforderliche Vorbildung, übliche Arbeitsbedingungen, z.B. Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, ferner übliche Entlohnung, etwa erforderliche Fähigkeiten oder körperliche Kräfte, Einsatz technischer Hilfsmittel) näher konkretisiert (BGH, Urteil v. 29.06.1994, IV ZR 120/93).

Die Versicherung sei ihrer Aufzeigelast nachgekommen, indem sie die Klägerin auf eine Tätigkeit als Verwaltungsangestellte bei Krankenkassen, Krankenhäusern oder Kliniken verwiesen habe.

Es sei aber vorauszusetzen, dass es diese Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt überhaupt und nicht nur in unbedeutendem Umfang gibt, ein Arbeitsmarkt also überhaupt existiert. Demgemäß scheiden Verweisungen auf Tätigkeiten, die nur in Einzelfällen nach den besonderen Anforderungen eines bestimmten Betriebes geschaffen oder auf spezielle Bedürfnisse eines bestimmten Mitarbeiters zugeschnitten worden sind („Nischenarbeitsplätze“), grundsätzlich ebenso aus wie Verweisungen auf Tätigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt nur in so geringer Zahl bereit stehen, das von einem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr die Rede sein kann (BGH, Urteil vom 23.06.1999, IV ZR 211/98).

Bei der Prüfung, ob ein Arbeitsmarkt für die Verweisungstätigkeit überhaupt besteht, sei sowohl in geographischer Sicht - Aspekt der Mobilität - als auch unter dem Gesichtspunkt der zu berücksichtigenden Stellen - zeitlicher Umfang der Tätigkeit und sozialversicherungsrechtliche Einordnung - darauf abzustellen, was dem Versicherungsnehmer zumutbar ist.

In der Regel gelte daher: Ein zur Ausübung einer Verweisungstätigkeit erforderlicher Wohnortwechsel ist unzumutbar. Zumutbar ist jedoch ein Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort, wie es viele Arbeitnehmer handhaben. Dies führt zu einer regelmäßigen Begrenzung des Verweisungsgebiets auf berufliche Einsatzorte, die der Versicherte von seiner Wohnung aus täglich in zumutbarer Entfernung erreichen kann.

Nach diesen Kriterien sei der Klägerin eine räumliche Mobilität von maximal 40 km Fahrstrecke ab ihrem Wohnort zumutbar. Ein Umzug aber scheide wegen der familiären Bindungen am Wohnort und der Teilzeittätigkeit an zwei Tagen offensichtlich aus.

Die Klägerin könne außerdem, da sie auch bisher nur geringfügig beschäftigt gewesen sei, nur auf einen Mini-Job verwiesen werden, nicht aber auf eine darüber hinaus gehende Tätigkeit.

26215


Kommentare


Seien Sie die erste Person, die einen Kommentar zu diesem Artikel abgibt.


Kommentar schreiben

Veröffentlicht am

27.05.2015

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

Hinweis

Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.

Urheber

© Rechtsanwalt Köper (Gilt nicht für gekennzeichnete Pressemitteilungen, Medieninformationen und Gerichtsentscheidungen)

Downloads