Das Bundesverfassungsgericht hat am 17.07.2013 auf eine Verfassungsbeschwerde einer Versicherten zwei Gerichtsurteile, die der Versicherten Berufsunfähigkeitsleistungen wegen nicht ausreichend erteilter Schweigepflichtentbindungserklärungen abgesprochen hatten, aufgehoben.
In dem entschiedenen Fall hatte sich eine Versicherter u.a. geweigert, gegenüber ihrem Berufsunfähigkeitsversicherer pauschal folgende Erklärung abzugeben:
"Im Zusammenhang mit meinem Antrag auf Berufsunfähigkeitsleistungen gebe ich ausdrücklich mein Einverständnis, dass [Name der Krankenkasse oder der Ärzte] der Versicherung umfassend anhand der vorliegenden Unterlagen über meine Gesundheitsverhältnisse, Arbeitsunfähigkeitszeiten und Behandlungsdaten Auskunft erteilt. […]“
Die Berufsunfähigkeitsversicherung verweigerte daraufhin die Leistung, woraufhin die Versicherte den Versicherer auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente verklagte. Sowohl das Landgericht, als auch das Oberlandesgericht wiesen die Zahlungsklage ab.
Das Bundesverfassungsgericht hob beide Gerichtsentscheidungen auf und führte aus, die verfassungsmäßigen Grundrechte der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung würden nicht gewahrt, "wenn die Gerichte den Versicherungsvertrag so auslegen, dass die Versicherten eine Obliegenheit trifft, eine umfassende Schweigepflichtentbindung abzugeben, die es dem Versicherungsunternehmen ermöglicht, „sachdienliche Auskünfte“ bei einem nicht konkret bestimmten Personenkreis von Ärzten, Krankenhäusern, Krankenkassen, Versicherungsgesellschaften, Sozialversicherungsträgern, Behörden und Arbeitgebern einzuholen".
Das Bundesverfassungsgericht fordert stattdessen eine für die Versicherten weniger einschneidende Lösung, z.B. "Kooperationspflichten, die sicherstellen, dass Versicherte und Versicherung im Dialog ermitteln, welche Daten zur Abwicklung des Versicherungsfalls erforderlich sind." Wie ein solcher "Dialog" zwischen den Streithähnen aussehen soll, beschreiben die Richter allerdings nicht; dies sei Aufgabe der Zivilgerichte.
Weiter führte das Gericht aus, es könne nicht sein, dass die Berufsunfähigkeitsversicherungen "auch über die Abwicklung des Versicherungsfalls erforderliche Maß hinaus in weitem Umfang sensible Informationen [...] einholen". Aus den Schweigepflichtentbindungserklärungen sei "nicht ansatzweise erkennbar, welche konkreten Informationen die Beklagte zur Prüfung des Versicherungsfalles benötigt." Die Versicherungen würden so "Informationen über praktisch jeden Arztbesuch und Krankenhausaufenthalt" erhalten. Diese seien jedoch offenkundig "nicht in ihrer Gänze für die Bearbeitung des Versicherungsfalles von Bedeutung".
Das Bundesverfassungsgericht stellte daher eine Grundrechtsverletzung der Versicherten fest, hob die Gerichtsentscheidungen auf und verwies den Rechtsstreit wieder zurück an das Landgericht.
Kommentar: Es darf mit Spannung erwartet werden, welchen "Dialog" zwischen Versicherung und Versichertem sich das Landgericht, an den der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, vorstellt. Die Dialog-Lösung ist aus meiner Sicht schon deshalb fragwürdig, weil ein solcher Dialog zur Klärung, welche Informationen die Versicherung bei welcher Institution und welchem Arzt im Einzelfall für welchen Zeitraum zu welchem Zweck einholen darf, die gesamte Leistungsprüfung reichlich verzögern könnte. Zeitverlust bei der Leistungsprüfung kann sich der Versicherte i.d.R. jedoch nicht leisten und spielt den Versicherern in die Hände. Die Rechtsprechung sollte viel eher ansetzen, das Problem bei der Wurzel packen und die Versicherer verpflichten, schon bei Versicherungsabschluss eine gründliche Risikoprüfung vorzunehmen und die für die Versicherung tatsächlich notwendigen Informationen über den Gesundheitszustand des Antragstellers bei angegebenen Ärzten, Krankenkassen und Behandlern anzufordern. Streitigkeiten der vorliegenden Art ließen sich so vermeiden. Zum Leidwesen der Versicherer würde dies zwar wohl dazu führen, dass tausende Berufsunfähigkeitsversicherungen gar nicht erst zustande kämen. Aber was nutzt dem vermeintlich Versicherten ein wegen nicht angegebener Vorerkrankungen anfechtbarer Vertrag? Nichts!
Kommentare
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Veröffentlicht am
13.08.2013
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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© Rechtsanwalt Köper (Gilt nicht für gekennzeichnete Pressemitteilungen, Medieninformationen und Gerichtsentscheidungen)
27.08.2013, 10:45 Uhr
Hallo Herr Kollege Köper, sowohl die Entscheidung als auch Ihr Kommentar sind sehr interessant. Man wird sehen müssen, wie diese Dialoge künftig geführt werden. Ich habe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass genommen, einmal etwas ausführlicher auf die Fragen zur Schweigepflichtentbindungserklärung gegenüber einem Versicherer einzugehen: http://pabstblog.de/2013/08/schweigepflichtentbindungserklaerung-und-versicherung/ Vielleicht möchten Sie ja dort nochmals kommentieren? Herzliche Grüße A. Pabst