Das Landgericht Dortmund hat in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH entschieden, dass ein Berufsunfähigkeitsversicherer den Prüfungszeitpunkt der Berufsunfähigkeit nicht durch eine befristete Zahlung auf Kulanzbasis "ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht" hinausschieben kann. Maßgeblich bleibt der vom Versicherten angegebene Beginn der Berufsunfähigkeit.

In dem entschiedenen Fall ging es um einen Straßenbahnfahrer im ÖPNV, der wegen orthopädischer, neurologischer und psychischer Beschwerden (Depressionen) im Jahre 2008 bei seiner Berufsunfähigkeitsversicherung einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente stellte.
Nach mehreren Monaten der Prüfung bewilligte die Versicherung nicht die Rente, sondern schrieb dem Kläger, sie biete ihm "ohne Anerkennung einer Rechts- oder Leistungspflicht", also aus "Kulanz" eine befristete Rentenzahlung für die Zeit vom 01.11.2008 bis 31.12.2009 an. Der Kläger brauche nur zu unterschreiben.
Dies tat der Kläger, um endlich eine Zahlung zu erhalten. Nach dem Ende der befristeten Zahlung aber, also ab dem 01.01.2010, verweigerte die Versicherung die Rente und behauptete, der Kläger könne nun wieder zu mehr als 50 % in seinem Beruf arbeiten.
Der Straßenbahnfahrer verklagte nun die Versicherung. Diese machte im Gerichtsverfahren geltend, für die durch Gutachten zu klärende Berufsunfähigkeit, ob der Kläger zu mindestens 50 % außerstande sei, seinen zuletzt ausgeübten Beruf nachzugehen, komme es nicht mehr auf den Zeitpunkt des Rentenantrag an, sondern den 01.01.2010. Schließlich habe der Versicherte unterschrieben und sei einverstanden gewesen, die Prüfung der Berufsunfähigkeit auf später zu verschieben, nämlich den 01.01.2010.
Das Landgericht Dortmund erteilte dem unter Verweis auf ein deutliches Urteil des Bundesgerichtshofs eine Absage.
BGH, Urteil vom 07. Februar 2007 – IV ZR 244/03: Objektiv treuwidrig handelt auch der Versicherer, der bei nahe liegender Berufsunfähigkeit die ernsthafte Prüfung seiner Leistungspflicht durch das Angebot einer befristeten Kulanzleistung hinausschiebt und so das nach Sachlage gebotene Anerkenntnis unterläuft.
Das Landgericht Dortmund nahm hierauf Bezug und erläuerte:
"Hier birgt die von beiden Parteien unterschriebene Vereinbarung von August 2008 für den Kläger den Nachteil, dass das völlige Offenlassen der Berufsunfähigkeit sich für den Kläger dann als nachteilig erwies, wenn er den Eintritt des Versicherungsfalls zu dem von ihm behaupteten Zeitpunkt hätte nachweisen können [also 2008] und ihm dies mit Ablauf der Befristung [also 2010] nicht mehr möglich ist. Bei einem Anerkenntnis des Beklagten hätte hingegen dieser im Nachprüfungsverfahren beweisen müssen, dass der Kläger nicht mehr berufsunfähig ist."
Die dem Kläger von der Versicherung zur Unterschrift vorgelegte Vereinbarung sei daher für den Kläger deutlich von Nachteil gewesen. Auf diesen Nachteil habe die Versicherung nicht deutlich hingewiesen. Die Versicherung könne sich deshalb nicht auf die Unterschrift des Kläger berufen.
Schließlich stellte das Gericht, fest, der Sachverständige habe bei dem Versicherten eine depressive Störung diagnostiziert, die ihn tatsächlich ab Oktober 2006 für zumindest 6 Monate außerstande gesetzt hat, seinen Beruf als Stadtbahnfahrer noch zu mindestens 50 % auszuüben. Er sei daher berufsunfähig.
Die Pflicht zur Zahlung der Rente ende erst dann, wenn die Versicherung im Nachprüfungsverfahren das Ende der Berufsunfähigkeit bewiesen habe. Die Versicherung habe hier zwar "hilfsweise" im Gerichtsprozess die Leistungseinstellung wegen angeblichen Endes der Berufsunfähigkeit erklärt. Dies habe sie aber nicht beweisen können.
Der Kläger habe nachvollziehbar erklärt, er habe zwar eine zeitlang wieder mehr als 50 % gearbeitet, dies aber "nur unter Raubbau an seiner Gesundheit [...], um eine Existenzgrundlage für seine Familie zu erhalten." Er habe außerdem erklärt, dass er "wegen der Arbeit unter Schlaflosigkeit zu leiden hatte und unter ständiger Angst, dass im Beruf wegen der damit einhergehenden Konzentrationsstörungen etwas passieren könne." Der Kläger sei daher nach wie vor als berufsunfähig anzusehen, die Rente müsse voll gezahlt werden.
HINWEIS: Eine solche Vereinbarung, mit der die Prüfung der Berufsunfähigkeit verschoben werden soll, kann wirksam sein, wenn die Versicherung Sie in ihrem Schreiben auf die Vor- und Nachteile der befristeten Zahlung ausdrücklich hingewiesen hat.
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Veröffentlicht am
04.06.2016
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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18.01.2018, 09:31 Uhr
Sehr geehrter Herr Köper, ich möchte mich gerne bei Ihnen erkundigen, ob Sie Vertragsprüfungen für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung durchführen (z.B. das Prüfen auf gravierend nachteilige Passagen für den Versicherungsnehmer)? Falls ja, wie hoch würde das Honorar für die Vertragsprüfung von 22 Seiten ausfallen (Gilt dies noch als Erstberatung)? Falls Sie Vertragsprüfungen dieser Art nicht durchführen, können Sie auf einen Beratungsservice verweisen, der auf BU-Versicherungsverträge spezialisiert ist? Mit freundlichen Grüßen
18.01.2018, 14:23 Uhr
Herzlichen Dank für Ihr Vertrauen und Ihre Anfrage. Mit der Beratung beim Abschluss einer neuen BU-Versicherung ist es so: Als Anwalt könnte ich Ihnen zwar sagen, welche Klauseln in einem bestimmten Vertrag grundsätzlich unvorteilhaft sind. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, welcher Versicherer aktuell welche neuen, vorteilhaften Bedingungen anbietet. Meine Beratung hilft Ihnen daher bei der Suche nach einem guten Versicherungsprodukt nur begrenzt. Da die Versicherer ständig neue Tarife auf den Markt bringen, braucht es Versicherungsmakler, die von den Versicherern automatisch über neue Produkte informiert werden und über Vergleichssoftware verfügen. Für meine Zwecke hat beispielsweise mein Versicherungsmakler Schwarz und Partner aus Hamburg ein BU-Police der Condor Lebensversicherungs-AG recherchiert, bei der Berufsunfähigkeit bereits bei durchgehender 6-monatiger Arbeitsunfähigkeit angenommen wird. Dabei muss man wissen, dasss "Berufsunfähigkeit" und "Arbeitsunfähigkeit" unterschiedlich definiert sind. Eine solche sogenannte "AU-Klausel" ist dahersehr wertvoll, weil die BU im Leistungsfall einfacher nachzuweisen ist. Es kann und darf Ihnen nach der GewO aber nur ein Makler sagen, welcher Versicherer derzeit welche Klauseln anbieten und eine Versicherung vermitteln. Sollte bei Ihnen der Leistungsfall eintreten und Sie wegen Berufsunfähigkeit Leistungen beantragen müssen, ist es allerdings dringend zu empfehlen, sich im Antragsverfahren anwaltlich und nicht lediglich durch einen Makler beraten zu lassen, da hier wiederum Rechtsprechungskenntnisse erforderlich sind, um das Ablehnungsrisiko zu minimieren.
23.03.2018, 10:40 Uhr
Leider zeigt sich zunehmend, dass die Versicherer wegen der schlechten Ertragslage Ihre Personaldecke in den Leistungsabteilungen ausgedünnt haben und immer weniger Mitarbeiter immer mehr Anträge bearbeiten müssen. Aktuell teilt mir z.B. die Heidelberger Lebensversicherung auf Nachfrage mit, unser Antragsschreiben mit allen Unterlagen von Ende Januar seit dort eingegangen und liege auf dem Schreibtisch, man sei bis jetzt, also Ende März aber noch nicht zur Bearbeitung gekommen. Eigentlich hätte man erwarten sollen, dass schon längst die Ärzte angeschrieben und der beratungsärztliche Dienst mit der Sache befasst worden wäre.
16.05.2018, 11:17 Uhr
Nachdem der Rentenantrag meiner Mandantin auf Berufsunfähigkeitsleistungen seit nunmehr fast 4 Monaten unbearbeitet ist, habe ich mit diesem Schreiben eine Beschwerde bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erhoben.
Sollten Sie ähnliche Erfahrungen gemacht oder eine Frage zu Ihrem Fall haben, posten Sie hier einen Kommentar, ich antworte gerne.
18.06.2018, 15:37 Uhr
03.12.2018, 11:35 Uhr
Sehr geehrter RA Köper, mir wurde kürzlich die volle Erwerbsminderungsrente rückwirkend bewilligt. Ich habe auch eine private Berufsunfähigkeitsrente, welche ich nun in Anspruch nehmen möchte. Ich habe bisher noch keinen Antrag gestellt, da ich davon ausgegangen bin, dass dieser abgelehnt werden würde. Wie sehen die Chancen aus, dass meine Versicherung zahlt? Und wenn sie zahlt, muss ich das der Rentenversicherung und/ oder der Krankenversicherung angeben? Kann das Auswirkungen auf die Höhe der Erwerbsminderungsrente haben, obwohl ich privat vorgesorgt habe? Ich wäre viel lieber gesund und müsste mich mich diesen Themen nicht beschäftigen. Vorerst vielen Dank. Mit freundlichen Grüßen, M.S.
03.12.2018, 11:54 Uhr
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Wenn Ihnen seitens der DRV eine volle Erwerbsminderungsrente bewilligt wurde, sollten Sie in der Tat möglichst umgehend einen Leistungsantrag auf Berufsunfähigkeitsrente/Beitragsbefreiung aus Ihrer privaten Berufsunfähigkeitsrente in Erwägung ziehen, da zum einen die Antragsbearbeitung dort einige Zeit in Anspruch nehmen kann und zweitens sich bei üblichen Bedingungen bei verspäteter Antragstellung Nachteile bei der rückwirkenden Rentenzahlung ergeben können. Andererseits stützt ein Rentenbescheides der DRV grundsätzlich ihren Antrag auf private BU-Rente. Wenn Sie einen Antrag stellen möchten, kann ich nur dringend empfehlen, dass Sie das umfangreiche Antragsformular auf Berufsunfähigkeitsleistungen (i.d.R. 10-20 Seiten) nur mit anwaltlicher oder versicherungsfachlicher Begleitung ausfüllen, da es häufig um Leistungen von existentieller Bedeutung geht und die Versicherungen erfahrungsgemäß jede Gelegenheit und Fehlangabe nutzen, nicht zu leisten. Ich empfehle außerdem wegen des grundsätzlichen Risikos einer Ablehnung einer privaten BU-Rente - falls noch nicht vorhanden - vor Beantragung der BU-Rente, d.h. vor erster Kontaktaufnahme zum Versicherer eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen (ggf. online - achten Sie auf Versicherungen "ohne Wartezeit", z.B. von Roland o.a.), um sich ggf. gegen eine Rentenablehnung wehren zu können. Wenn die private Berufsunfähigkeitsrente gezahlt wird, erfolgt nach derzeitiger Rechtslage keine Anrechnung auf die gesetzliche Erwerbsminderungsrente oder das gesetzliche Krankengeld (anders beim privaten Krankentagegeld). Sie sind allerdings verpflichtet, den Bezug einer privaten Berufsunfähigkeitsrente in den Formularen der Deutschen Rentenversicherung und ggf. der Krankenkasse zur Einkommensabfrage mitzuteilen.
14.05.2020, 11:47 Uhr
Sehr geehrter Herr Köper, folgender Sachverhalt: Ich bin seit ca. 1 Jahr lückenlos AU, vom Hausarzt bescheinigt. Nach etwas mehr als 6 Monaten habe ich bei meiner BU Versicherung einen Leistungsantrag gestellt. Die BU Versicherung forderte zunächst einen Arztfragebogen vom Hausarzt. Dieser bestätigte die BU mit mehr als 50 %. Anschließend forderte die BU die weiteren AU Bescheinigungen. Dann kam die Aufforderung von dem behandelden Facharzt den Arztfragebogen einzureichen. Der Facharzt hat geantwortet, er könne die Fragen nicht beantworten und hat nur einen Befundbericht zur BU Versicherung geschickt. Die BU-Versicherung fordert nun von mir die Angabe eines Arztes, der die Frage meiner Berufsunfähigkeit beantworten kann?!? Was soll damit erreicht werden? Ich bin, wie der BU-Versicherung bekannt, bei keinen weiteren Ärzten als dem Hausarzt und dem Facharzt in Behandlung. Glaubt man dem Hausarzt nicht? Ein neuerliches Gutachten vom MDK (nach Aktenlage, einschließlich des Befundberichts vom Facharzt), bestätigt die leitliniengerechte Behandlung sowie die deutliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit auf die konkrete zuletzt ausgeübte Tätigkeit wie auch ähnliche Tätigkeiten. Sollte ich zunächst das neuerliche Gutachten des MDK bei der BU-Versicherung einreichen? Vielen Dank für ihre Einschätzung.
14.05.2020, 17:14 Uhr
Sehr geehrter K., herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Es entspricht bei der Prüfung von BU-Rentenanträgen der Üblichkeit, dass die Versicherer Arztfragebögen von mehreren Ärzten anfordern, vorzugsweise von Fachärzten, da in der Tat (leider) die Auskünfte von Fachärzten für Allgemeinmedizin- bzw. Hausärzten häufig nicht in gleichem Maße gewürdigt werden, wie die von Fachärzten der jeweiligen im Vordergrund der Erkrankung stehenden Fachgebiete.
Die Ärzte wiederum sind mit den ellenlangen Fragebögen häufig überfordert, bzw. haben häufig wenig Zeit für derlei "Papierkram". So kommt es zuweilen auch zu Flüchtigkeitsfehlern der Ärzte beim Ausfüllen der Formulare. Da Berufsunfähigkeitsrenten aber meistens existenzielle Bedeutung für die Versicherten haben, ist man i.d.R. gut beraten, schon das Antragsverfahren anwaltlich begleiten zu lassen. Wenn die Versicherer erst einmal abgelehnt haben, ist es häufig schwierig oder nur mit jahrelangen Klageverfahren möglich, die Rentenzahlung durchzusetzen. Zur Einreichung von MDK-Gutachten bei einem BU-Rentenantrag lässt sich leider so pauschal auch nicht sagen, den Inhalt des jeweiligen Gutachtens sollte man sich schon genau anschauen. Eine "Gefährdung" der Erwerbsfähigkeit reicht zum Bezug einer privaten BU-Renten i.d.R. auch nicht aus, solche MDK-Gutachten zielen meistens auf eine Aufforderung zum Reha-Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung.
06.12.2023, 11:23 Uhr
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