Das Landgericht Kleve hat den Berufsunfähigkeitsversicherer einer Auszubildenden zur Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente verurteilt, nachdem bei der Auszubildenden während der Ausbildung eine Krankheit zutage getreten war, die eine spätere Tätigkeit als Mechatronikerin ausschloss.

Mechatronikerin

Landgericht Kleve, Urteil vom 14. Juni 2018 – 6 O 90/14: Leitsatz: Das Berufsbild eines Auszubildenden entspricht grundsätzlich den Vorgaben der für diesen Lehrberuf gültigen Ausbildungsordnung. Es besteht nämlich ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die konkrete Ausgestaltung der Lehre im Ausbildungsbetrieb nicht hinter den Anforderungen der jeweiligen Ausbildungsordnung zurückbleibt.

[...] Die Beklagte [Versicherung] beantragt, die Klage abzuweisen. Sie wendet ein: Das Berufsbild der Klägerin in gesunden Tagen könne nicht festgestellt werden. Die Klägerin habe ihre ausgeübte Tätigkeit als Auszubildende zur Mechatronikerin nicht hinreichend dargetan. Die Beklagte bestreite die Ausübung sämtlicher Tätigkeiten, die sich aus der Mechatroniker-Ausbildungsverordnung ergeben, durch die Klägerin mit Nichtwissen. Die Klägerin sei vollumfänglich leistungsfähig. Es bestehe keine Funktionseinschränkung der Gelenke. Dass es "mit ihren Beschwerden auch in ursprünglicher Tätigkeit nicht weit her" gewesen sein könne, ergebe sich auch aus dem nunmehr ausgeübten Beruf, da man Arme und Hände auch zum Zeichnen und zum Bedienen von Fotoapparaten gebrauche. Sofern eine Berufsunfähigkeit bestehen sollte, sei diese bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages eingetreten. Die Klägerin sei wegen ihrer Hypermobilität in Bezug auf den Beruf des Mechatronikers von Beginn an berufsunfähig gewesen. Überdies ergebe sich die fehlende Eignung der Klägerin für den Beruf des Mechatronikers bereits daraus, dass sei eine etwa 1,60 m große, höchstens 60 kg schwere Frau sei. Dadurch sei ihr das für einen Mechatroniker erforderliche Heben unzumutbar. Dies werde zusätzlich dadurch belegt, dass nur 5,7 % aller Mechatroniker Frauen seien.

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 28.000,- EUR Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum August 2012 bis einschließlich Dezember 2014 gemäß § 172 Abs. 1 VVG i.V.m. dem Vertrag der Parteien. Die Klägerin ist berufsunfähig im Sinne von § 172 Abs. 1 VVG i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 AVB-BU. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AVB-BU liegt Berufsunfähigkeit vor, "wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls [ ... ] voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % ihren zuletzt vor Eintritt dieses Zustandes ausgeübten Beruf - so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war - nicht mehr ausüben kann."

Im August 2012 war die Klägerin unstreitig Auszubildende zur Mechatronikerin. Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich ihr Berufsbild derart gestaltet hat, wie es aus der Mechatroniker-Ausbildungsverordnung vom 21.07.2011 (BGBl. I 2011, S. 1516-1525) hervorgeht. Es ist allgemein bekannt (§ 291 ZPO), dass in Lehrberufen die Ausbildung nach den dafür erlassenen Ausbildungsordnungen zu erfolgen hat und auch erfolgt. Die Ausbildungsinhalte einschließlich der hierfür erforderlichen praktischen Tätigkeiten sind somit vorliegend durch die vorgenannte Mechatroniker-Ausbildungsordnung vorgegeben. Die konkrete Ausgestaltung der Ausbildung bei der JJ GmbH kann nicht hinter der Ausbildungsordnung zurückbleiben, da andernfalls der Abschluss als Mechatronikerin nicht erreicht werden könnte. Dass ein völlig atypischer Einzelfall vorläge - somit die Klägerin mit der JJ GmbH eine Ausbildungsstelle gewählt gehabt hätte, die unzureichend ausbildet, so dass ihre Lehrlinge die Abschlussprüfungen nicht bestehen können - ist nicht im Ansatz ersichtlich und wird auch von keiner Partei behauptet. Eine solche Behauptung wird auch nicht durch die Erklärung mit Nichtwissen zur Tätigkeit der Klägerin aufgestellt. Sähe man das anders, unterstellte man der Beklagten eine nach § 138 ZPO unzulässige Behauptung ins Blaue hinein, die überdies gegenüber der Ausbildungsstelle durchaus ehrenrührig wäre. Angesichts des Vorstehenden hat die Kammer keinen Zweifel, dass das Tätigkeitsbild der Klägerin als Auszubildende zur Mechatronikerin so aussah, wie es in der der Ausbildung zugrundeliegenden Mechatroniker-Ausbildungsverordnung vorgeschrieben ist. Insoweit unterscheiden sich die Anforderungen bei der Darlegung des Berufsbildes für einen Auszubildenden von den Anforderungen an die Darlegung des Berufsbildes eines bereits ausgelernten Berufstätigen, da das Berufsbild eines bereits ausgebildeten Berufstätigen stärker differenziert und - anders als in der Ausbildung - bestimmte Tätigkeitsprofile eben nicht mehr zwingend erfüllen muss.

Die Klägerin ist seit August 2012 erkrankungsbedingt nicht mehr in der Lage, ihren Beruf als Auszubildende zur Mechatronikerin unter Zugrundelegung des Tätigkeitsbildes der Mechatroniker-Ausbildungsverordnung vom 21.07.2011 zu mindestens 50 % auszuüben. Davon ist die Kammer nach durchgeführter Beweisaufnahme aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. V überzeugt (§ 286 ZPO). Der Sachverständige Dr. V führt überzeugend aus, er halte die Diagnose "Ehlers-Danlos-Syndrom" der T-Klinik in Nimwegen für eine Verdachtsdiagnose. Er könne das Vorliegen dieses Syndroms bei der Klägerin gutachterlich nicht sicher feststellen, weil keine humangenetische und auch keine molekularbiologische Abklärung erfolgt sei. Die Klägerin leide aber - so der Sachverständige Dr. V überzeugend weiter - an einem Hypermobilitätssyndrom mit entsprechender Beschwerdesymptomatik im muskulo-skelettalen Bereich. Das Hypermobilitätssyndrom weise aber dieselben klinischen Symptome und Kriterien auf, welche für die hypermobile Form des Ehlers-Danlos-Syndroms herangezogen würden, so dass man Hypermobilität als mildere Form dieses Syndroms bezeichnen könne. Wegen des Hypermobilitätssyndrom führe die immer wiederkehrende körperliche Beanspruchung bei der Ausbildung zur Mechatronikerin (insbes. manuelles und maschinelles Spanen, Trennen, Umformen, Installieren elektrischer Baugruppen und Komponenten, Fügen, Montieren und Demontieren von Maschinen, Systemen und Anlagen, Transportieren, Sichern, Inbetriebnehmen, Bedienen und Instandhalten mechatronischer Systeme usw.) zu Gelenksbeschwerden im Bereich der oberen Extremität, im linken Knie und im Bereich der Wirbelsäule. Dadurch sei die Klägerin nicht in der Lage, ihren Beruf zu mindestens 50 % auszuüben. Die Belastung führe bei der Klägerin zu chronischen rezidivierenden schmerzhaften Phasen aufgrund artikulärer und periartikulärer Reizerscheinungen. Dies ergebe sich aus der vorgelegten Behandlungsdokumentation, die immer wieder Schwellneigungen im Bereich der Finger und Hände dokumentiere. Dass sich solche zum Zeitpunkt seiner eigenen Untersuchung nicht mehr gezeigt hätten, spricht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. V nicht dagegen, weil die Klägerin zu jenem Zeitpunkt bereits nicht mehr als Auszubildende zur Mechatronikerin tätig war und daher die auslösenden Überbelastungen fehlten. Hilfsmittel oder Therapien, die es der Klägerin ermöglichen könnten, doch noch in der Mechatronik tätig zu werden, gibt es nach den überzeugenden Bekundungen des Sachverständigen Dr. V nicht. Vielmehr sei die einzige gebotene Therapie das Vermeiden des Auslösers - vorliegend also der Tätigkeit als Mechatroniker. Die Kammer schließt sich dem Gutachten des Sachverständigen Dr. V vollinhaltlich an.

Kommentar: Das Urteil ist zwar positiv für die Versicherte, zeigt aber leider sehr deutlich, in welcher Weise die Berufsunfähigkeits-Versicherungen häufig mit ihren Versicherten verfahren, wenn der Leistungsfall eintritt und Rente beantragt wird: Alles und jedes wird bestritten, der Versicherte - in diesem Fall eine junge Frau - als von Anfang an gar nicht berufsfähig und Ihre Beschwerden als unglaubhaft dargestellt. Schon bei der Beantragung einer Berufsunfähigkeitsrente sollten Versicherte sich daher rechtlich beraten und ggf. vertreten lassen. Ferner ist zu empfehlen, vor der Beantragung der Berufsunfähigkeitsrente eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen (Wartezeit beachten), da man im Streitfall i.d.R. auf die Unterstützung einer Rechtsschutzversicherung angewiesen ist.

Folgende Entscheidung ist in Hinblick auf eine noch während der Ausbildungszeit eintretende Berufsunfähigkeit ebenfalls relevant:

OLG Hamm, Urteil vom 31. Januar 2018 – 20 U 33/17: Die Parteien haben, während sich der Kläger noch in der Ausbildung / im Studium befand, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Damit haben sie jedenfalls konkludent vereinbart, dass die angestrebte berufliche Tätigkeit versichert ist (vgl. BGH Urt. v. 30.3.2011 - IV ZR 269/08, r+s 2011, 259 Rn. 18 - "Maurer"; BGH Urt. v. 24.2.2010 - IV ZR 119/09, r+s 2010, 247 Rn. 18-20 - "Kreissekretärin" für den Fall, dass die Berufsunfähigkeit während der Ausbildung erstmals eingetreten sowie vom Versicherer anerkannt worden ist und der Versicherungsnehmer anschließend nach Abschluss der Ausbildung die planmäßig ausgeübte Tätigkeit nur noch teilweise verrichten kann). Dies war zunächst die angestrebte und im Vertrag vorgesehene berufliche Tätigkeit als Wirtschaftsingenieur nach dem Studium Wirtschaftsingenieurwesen. Der sodann erfolgte Wechsel der Ausbildung zu Rechtspflegerstudium / -ausbildung ist dabei zu behandeln wie der Wechsel des Berufs. Die neue Ausbildung mit der angestrebten beruflichen Tätigkeit ist für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit maßgeblich, weil es sich um die konkret zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte berufliche Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 AVB, § 172 Abs. 2 VVG) handelt. Ein solcher Wechsel der Ausbildung und damit des versicherten Berufs ist nicht anzeigepflichtig (vgl. nur m. w. N. Lücke in Prölss/Martin, 30. Aufl. 2018, § 2 BU Rn. 17). Verliert der Versicherungsnehmer - wie hier von der Beklagten anerkannt - die Fähigkeit die Ausbildung abzuschließen, kann er die angestrebte und hier durch den gesetzlichen Aufgabenkreis auch hinreichend konkretisierte, versicherte berufliche Tätigkeit nicht ausüben. Er ist dann bedingungsgemäß berufsunfähig, die Ausbildungs- und die berufliche Tätigkeit auszuüben (so im Ergebnis auch Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 42 Rn. 35-38; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 172 Rn. 16; Dörner in MüKo-VVG, 2. Aufl. 2017, § 172 Rn. 108 f.; Mertens in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl. 2015, § 172 Rn. 26, § 174 Rn. 7 f.; Lücke in Prölss/Martin, 30. Aufl. 2018, § 172 Rn. 58; § 2 BUV Rn. 22; wohl a. A. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, Kap. M Rn. 53-55).


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Veröffentlicht am

01.04.2019

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.

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