Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung einen selbständigen Bäckermeister mit ca. 10 Angestellten nur dann auf eine "Umorganisation" des Betriebs verweisen kann, wenn er dazu gesundheitlich in der Lage ist und keine ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen erleiden muss.

In dem entschiedenen Fall ging es um einen selbständigen Bäckermeister, der eine Bäckerei mit einem Hauptgeschäft und einer Filiale betrieb, regelmäßig ca. 8 - 10 Angestellte beschäftigte und im Betrieb selbst als Bäckermeister mitarbeitete. Daneben beschäftigte er als Mitarbeiter noch einen weiteren Bäckermeister, 2 Bäckergesellen und einen Auszubildenden/Lehrling in der Produktion und mehrere Verkäuferinnen sowie seine Ehefrau, die die Buchhaltung und den Einkauf übernahm.
Der Bäcker erlitt dann bei einem Unfall eine Halswirbelsäulenverletzung, eine Rückenverletzung (Lendenwirbelsäule) und einen Kniegelenksschaden. Er hatte so starke Schmerzen, dass er nicht mehr nennenswert Heben und Treppensteigen konnte. Hinzu kam eine Verletzung des Ellenbogens, die von Zeit zu Zeit starke Schmerzen verursachte. Auch sein rechtes Handgelenk konnte er nur noch unter Schmerzen bewegen.
Er stellte daher bei seiner Versicherung einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente und erklärte im Antragsformular, er könne nicht mehr als eine halbe Stunde stehen, ohne dass starke Rückenschmerzen aufträten. Auch könne er nicht mehr als eine halbe Stunde sitzen. Weil sein rechtes Kniegelenkes kaputt sei, müsse er außerdem ständig einen Stützstrumpf tragen. Er könne in seiner Bäckerei auch nicht anstatt als Bäckermeister als Geschäftsführer oder Filialleiter arbeiten. Er könne seine Firma auch nicht so umorganisieren, das er nur noch am Schreibtisch sitze, ohne bei der Produktion oder beim Verkauf einzugreifen.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung schickte trotzdem eine Ablehnung. Sie behauptete, eine 50 %-ige Berufsunfähigkeit liege nicht vor. Eine Umorganisation des Betriebes sei zumutbar. Er müsse als Selbständiger auch keine schweren körperlichen Arbeiten mehr verrichten. Er könne ja die Kundenberatung oder die Auftragsannahme oder die Auftragsabwicklung übernehmen oder seine Angestellten beaufsichtigen oder anleiten. Er könne auch die kaufmännische Bürotätigkeit übernehmen oder die Maschinen und Computer bedienen. Schließlich könne er auch wunderbar Backwaren ausfahren und verkaufen.
[Es kann] nicht davon ausgegangen werden, daß dem Kläger eine ihm zumutbare Betriebsumorganisation ihm gesundheitlich noch zu bewältigende, damit die Annahme der Berufsunfähigkeit ausschließende Betätigungsmöglichkeiten eröffnen würde.
Auf die Klage des Bäckermeisters verurteilte das Oberlandesgericht die Versicherung zur Zahlung der Rente.
Das Gericht stellte unter Berufung auf den Bundesgerichtshof klar, dass eine Betriebsumorganisation nicht nur möglich, sondern auch zumutbar sein muss und vor allem nicht mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen verbunden sein darf.
Eine Aufgabenumverteilung, die für den Betriebsinhaber lediglich zu einer "Verlegenheitsbeschäftigung" führe, sei "nach Treu und Glauben" unzumutbar. Außerdem dürftem von dem Versicherten keine wirtschaftlich unsinnigen Investitionen oder Neueinstellungen verlangt werden. So seien dem Bäckermeister u.A. schon wegen seines Alters keine größeren Investitionen zumutbar. Die Versicherung könne nicht verlangen, dass er sich als Ersatz für seine Arbeitskraft als Selbständiger teure Maschinen kaufen solle. Diese Anschaffungen könne er bis zum Rentenalter gar nicht abbezahlen. Auch einen weiteren Bäckermeister als Ersatz für seine eigene, weggefallene Arbeitskraft müsse der Versicherte nicht einstellen. Da der Betrieb nämlich abgesehen von seinem Arbeitsausfall gut organisiert war und alle Angestellten grundsätzlich so arbeiteten, dass sie nicht beaufsichtigt werden mussten, wäre nach der Einstellung eines Bäckermeisters für den Versicherten nur noch eine Verlegenheitsbeschäftigung übrig geblieben. Dies sei dem Versicherten nicht zuzumuten. Die Versicherung habe deshalb die monatliche Rente zu zahlen.
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Veröffentlicht am
12.06.2016
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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28.03.2022, 16:08 Uhr
Das Oberlandesgericht Dresden hat eine weitere, interessante Entscheidung zur Unzumutbarkeit der Umorganisation bei Selbständigen getroffen: