Das Landgericht Dortmund hat im Falle einer Arzthelferin entschieden, dass deren mehr als 6 Monate durchgehend bestehende Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung als "fiktive" Berufsunfähigkeit anzuerkennen ist und den Versicherer zur Zahlung verurteilt.

Die Arzthelferin hatte einen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung auf Basis einer Risikolebensversicherung abgeschlossen. Im Juli 2012 stellte sie einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente, weil sie seit Januar 2012 psychisch erkrankt und deshalb arbeitsunfähig war. Während des Prüfungsverfahrens zahlte die Versicherung zwar von Februar bis August 2012, lehnte eine darüber hinausgehende Zahlung jedoch bezugnehmend auf ein Gutachten vom 13.07.2012 ab, wonach "davon auszugehen" sei, dass die Klägerin "bis Mitte August ihre Berufstätigkeit wieder aufnehmen" könne und spätestens ab der 33. Kalenderwoche eine stufenweise Wiedereingliederung anzuraten sei.
Auf die Klage der Arzthelferin verurteilte das Landgericht Dortmund den Versicherer jedoch zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente über den August 2012 hinaus. Durch das dem Versicherer vorliegende Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) der Klägerin sei deren mehr als 6-monatige ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit belegt und damit eine sog. "fiktive Berufsunfähigkeit" gegeben. Denn nach § 2 der vereinbarten Versicherungsbedingungen (BUZ 92) liege eine Berufsunfähigkeit auch vor, wenn die versicherte Person 6 Monate ununterbrochen krankheitsbedingt außerstande gewesen ist, ihren Beruf auszuüben.
Dies habe zur Folge, dass zum Zeitpunkt der Leistungsentscheidung des Versicherers im Juli 2012 die Voraussetzungen für ein bedingungsgemäßes Leistungsanerkenntnis vorgelegen hätten. Der beklagte Versicherer habe "in Verkennung ihres eigenen Bedingungswerkes" den Leistungsantrag der Arzthelferin abgelehnt, anstatt diesem stattzugeben.
LG Dortmund, Urteil vom 06. Februar 2014 – 2 O 249/13: Gemäß § 2 der vereinbarten BUZ 92 liegt Berufsunfähigkeit nicht nur dann vor, wenn die versicherte Person voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren Beruf auszuüben, sondern auch dann, wenn die versicherte Person 6 Monate ununterbrochen krankheitsbedingt außerstande gewesen ist, ihren Beruf auszuüben. Im letzteren Fall gilt dieser Zustand von Beginn an als Berufsunfähigkeit. [...] Nach diesen ärztlichen Berichten und Gutachten, die die Beklagte ihrer Leistungsentscheidung zu Grunde gelegt hat, bestand für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in ihrem Beruf als Arzthelferin. Diese, die Prognose bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ersetzende sogenannte fiktive Berufsunfähigkeit gemäß § 2 der vereinbarten BUZ 92 gilt von Beginn an als Berufsunfähigkeit, so dass zum Zeitpunkt der Leistungsentscheidung der Beklagten die vereinbarten Voraussetzungen für ein bedingungsgemäßes Leistungsanerkenntnis durch die Beklagte vorlagen. Ärztliche Berichte, die eine durchgehende über 6 Monate währende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in Frage stellen können, hat die Beklagte weder zu den Akten gereicht noch vorgetragen, so dass das Gericht davon ausgehen muss, dass die erwähnten ärztlichen Berichte und Gutachten für die Leistungsentscheidung der Beklagten maßgebend waren und die Beklagte in Verkennung ihres eigenen Bedingungswerkes den Leistungsantrag der Klägerin abgelehnt hat, statt ihm stattzugeben. Gibt aber der Versicherer ein nach den Bedingungen gebotenes Leistungsanerkenntnis nicht ab, wird sein gebotenes Anerkenntnis fingiert mit der Folge, dass der Versicherer verpflichtet ist, die bedingungsgemäßen Leistungen - im vorliegenden Fall monatliche Rente und Beitragsbefreiung - zu erbringen (vgl. BGH, VersR 2007, 1398; OLG Karlsruhe, r+s 2013, 34; OLG Saarbrücken, ZFS 2013, 403; Lücke in Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, § 173 Nr. 13; Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl., S, 410; vgl. auch Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Auflage, § 46, Rn. 143).
Der Versicherer hat hier das gebotene Leistungsanerkenntnis nicht abgegeben, so dass dieses einfach fingiert werden konnte. Eine Beendigung der Leistungspflicht hätte der Versicherer nur über ein Nachprüfungsverfahren erreichen können, das nicht durchgeführt wurde.
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05.06.2014
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Rechtsanwalt David Andreas Köper
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10.04.2018, 14:04 Uhr
Das Landgericht München hat wie das Landgericht Dortmund bestätigt, dass im Fall einer mindestens 6-monatigen ununterbrochenen Berufsunfähigkeit das Leistungsanerkenntnis des Versicherers auch ohne dessen Erklärung zu unterstellen ist. Der Versicherer kann den Rentenzahlungsanspruch dann nur durch ein sog. Nachprüfungsverfahren beenden. Hat der Versicherer ein solches nicht durchgeführt, muss er laufend Rente zahlen.