Das Bayerische Landessozialgericht hat entschieden (Urteil vom 29.04.2008, Az.: L 18 U 272/04), dass der Suizid eines Versicherten als Arbeitsunfall anzuerkennen ist, wenn er auf einem psychischen Trauma beruht, das durch ein Personalgespräch (Entbindung von Leitungsfunktion, Gehaltskürzung, Abmahnung und Kündigungsandrohung) ausgelöst wurde.

In dem entschiedenen Fall ging es um die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der Unfallversicherung und in diesem Zusammenhang um die Frage, inwieweit ein Selbstmord als Arbeitsunfall im Sinne der Unfallversicherung gelten kann. Ein langjährig als Konstrukteur in leitender Funktion beschäftigter Arbeitnehmer hatte sich zwei Tage nach einem Personalgespräch, in dem er von seiner Leitungsaufgabe entbunden, ihm das Gehalt gekürzt sowie eine Abmahnung und Kündigungsandrohung ausgesprochen wurde, das Leben genommen. In dem Abschiedsbrief des Verstorbenen hieß es: "Von den Herren W. jr, R., S., S., S. u.a. wurde ich abgeschlachtet; nicht nur beruflich. Wahrscheinlich als gesellschaftsunfähig bezeichnet. Ich liebe Euch! Euer Versager 24.05.2001 K."

Kernfrage des Falles ist, ob ein Arbeitsunfall vorlag oder nicht. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB V sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Das Gericht stellte hierzu fest, dass das Ereignis, das von außen auf den Körper einwirkt, nicht auf Freiwilligkeit beruhen dürfe. Hieraus folge, dass bei einer Selbsttötung kein Unfall gegeben sei. Unfreiwilligkeit lasse sich nur annehmen, wenn der Versicherte durch betriebsbedingte Umstände ein psychisches Trauma erleide, dadurch in den Zustand wesentlich beeinträchtigter Willensbestimmung gerate und eine Selbsttötung begehe. Als psychische Ursache könne regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn es sich hierbei um einen psychischen Schock handele, d.h. eine schlagartig auftretende schwere psychische Erschütterung, die eine mentale Störung von Krankheitswert, z.B. eine Depression, hinterlasse. Es sei davon auszugehen, dass das Personalgespräch beim Versicherten ein psychisches Trauma ausgelöst habe, in dessen Folge dieser nach kurzer zeitlicher Verzögerung den Selbstmord unternahm. Das Personalgespräch habe beim Versicherten zu einem Schock, d.h. zu einer plötzlich auftretenden psychischen Erschütterung bzw. zu einer reaktiven Depression geführt, die die Vorstellung des Versicherten hervorgerufen habe, sich in einer aussichtslosen Situation zu befinden.

Das Urteil zeigt, dass bei einem Selbstmord Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen aus der Unfallversicherung nicht kategorisch ausgeschlossen werden können. Ablehnungsbescheide der Unfallversicherung sollten daher rechtlich geprüft werden.


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Veröffentlicht am

31.07.2008

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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