Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschied bereits im Februar 2013, dass der Arbeitgeber zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet ist, um einen schwerbehinderten Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen.

Der Kläger arbeitete seit 1988 bei der beklagten Stadt als Arbeiter im Bauhof. Nach erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten war der Kläger vom 17.01.2011 bis einschließlich 01.04.2012 arbeitsunfähig erkrankt. Von der Agentur für Arbeit wurde er rückwirkend zum 10.11.2011 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Bevor seine Krankschreibung endete teilte der Kläger der Beklagten rechtzeitig mit, dass er wieder zur Arbeit erscheinen werde. Laut Attest könne er leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, vorzugsweise in wechselnder Körperhaltung vollschichtig übernehmen, schweres Heben und Tragen sowie Wirbelsäulenzwangshaltungen sollten jedoch vermieden werden.

Die Beklagte lehnte die vom Kläger angebotene Arbeitsleistung jedoch ab. Daraufhin ging der Kläger vor das Arbeitsgericht und machte seinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung geltend. Gleichzeitig forderte er rückwirkend die Zahlung der Arbeitsvergütung ab April 2012.

Das im Rahmen der Verhandlung erstellte arbeitsmedizinische Gutachten kam zu dem Ergebnis, der Kläger sei unter eingeschränkten Bedingungen in der Lage vollschichtig zu arbeiten. Dazu wären zum einen eine geeignete Hebebühne und zum anderen eine persönliche Schutzausrüstung erforderlich. Dem folgte eine Tabelle in der die einzelnen Tätigkeiten in den Kategorien „nicht möglich“, „eingeschränkt möglich“ und „möglich“ zugeordnet wurden.

Die Beklagte kam aufgrund dieses Gutachtens zu dem Ergebnis, der Kläger könne lediglich mit einem Umfang von 371,52 Stunden jährlich eingesetzt werden (dies entspricht einem Anteil von 23,56 % einer Vollzeitkraft). Dies folgerte sie daraus, dass sie die gesamte anfallende Arbeitszeit der Kategorie „möglich“ und „eingeschränkt möglich“ durch die Anzahl der Arbeitnehmer teilte und teilweise noch um die Hälfte reduzierte.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein.

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz folgte der Antrag des Klägers und hob das Urteil auf. Dazu führte es aus, dem Anspruch des Klägers auf Beschäftigung stehe nicht entgegen, dass er unstreitig aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr alle arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten im Bauhof der Beklagten ausüben könne. Im Schwerbehindertenrecht schließe nämlich die Unfähigkeit zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeit einen Beschäftigungsanspruch nicht aus.

Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, sei der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch 9 auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet. So könne der schwerbehinderte Arbeitnehmer verlangen, dass er nur mit leichteren Arbeiten beschäftigt werde, sofern im Betrieb die Möglichkeit zu einer solchen Aufgabenumverteilung bestehe. Dabei habe der Arbeitgeber – anders als in der Berechnung der Beklagten – die leichteren Arbeiten in einem größeren, zeitlichen Umfang dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zuzuordnen als den anderen Beschäftigten. Allerdings sei der Arbeitgeber **dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar **oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden sei, § 81 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch 9. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.

Auch der Anspruch auf Zahlung der vertragsgemäßen Arbeitsvergütung sei bis auf einen geringen Teilbetrag von 83,33 Euro begründet.


Kommentare

M.L.
02.08.2017, 23:42 Uhr

Ich befinde mich aktuell in der Situation, mich nach einer über ein Jahr andauernden Krankschreibung wieder in meinen alten Job eingliedern lassen zu wollen. Dementsprechend möchte ich mich vorbereiten, da ich nicht mehr alle Tätigkeiten ausführen möchte: was mir allerdings in meiner letzten Reha nicht bescheinigt wurde. Ich wurde dort zwar arbeitsunfähig entlassen, aber mit der Prognose, nach "Stabilisierung" wieder voll arbeitsfähig sein zu können, eine Wiedereingliederung wäre nicht erforderlich. Widersprüchliche Aussage, wie auch meine jetzigen Therapeuten bestätigen. Bisher habe ich noch keinen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt: würde mir dieser-auch mit einem geringen Behinderungsgrad- nutzen, um meine Weiterbeschäftigung entsprechend meiner Fähigkeiten durchzusetzen?

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
07.08.2017, 10:37 Uhr

Sehr geehrte/r Herr/Frau L.,

wie Sie dem obigen Bericht entnehmen können, war der betroffene Arbeitnehmer, der das Berufungsverfahren schließlich gewann, nicht schwerbehindert, sondern mit Schwerbehinderten "gleichgestellt". Um einen Gleichstellungsantrag mit Schwerbehinderten bei der Agentur für Arbeit stellen zu können, genügt ein GdB von 30. Die Gleichstellung kann auch Kündigungsschutz bieten. Wichtig ist auch zu wissen - und ist vielen Arbeitgebern unbekannt und wird beim BEM nicht beachtet - dass der Arbeitgeber vom Integrationsamt neben der Förderung einer behinderungsgerechten Arbeitsplatzgestaltung als (ggf. befristete) Geldleistung einen sog. "Minderleistungsausgleich" nach § 102 Abs. 3 Sozialgesetzbuch 9 i.V.m. § 27 der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung beantragen können, wenn ein schwerbehinderter oder diesen gleichgestellter Arbeitnehmer behinderungsbedingt der Arbeitsleistung vergleichbarer Kollegen mindestens 30 % und höchstens 50 % 'hinterherhinkt'. Unter bestimmten Voraussetzugngen können auch Personalmehrkosten durch personelle Untersützung des behinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers durch Kollegen vom Integrationsamt bezuschusst werden. Es ist daher bei ernsthaften und dauerhaften gesundheitlichen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz grundsätzlich empfehlenswert, einen Erstfeststellungsantrag nach dem Schwerbehindertenrecht beim zuständigen Versorgungsamt zu stellen. Die meisten Versorgungsämter bieten auf ihren Homepages entsprechende Antragsformulare zum Download an. Das Formular für den Gleichstellungsantrag erhalten Sie in Ihrer Arbeitsagentur oder (auf Internetseiten Dritter), wenn Sie danach googlen.


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Veröffentlicht am

16.03.2015

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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