Nach § 16 Abs. 3a Sozialgesetzbuch 5 kann die Krankenkasse die Krankenversicherung bei Beitragsschulden/Beitragsrückständen "ruhend" stellen. Das Ruhen gilt jedoch nicht beim Vorliegen "akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen". Eine akute Erkrankung kann auch eine psychische Erkrankung sein, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich macht.

Depression

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte im Februar 2024 über die Kosten der Krankenhausbehandlung eines psychisch erkrankten Asylbewerbers zu entscheiden. Gleichlautend wie § 16 Abs. 3a SGB 5 enthält auch § 4 AsylbLG eine Regelung, nach der Leistungen bei "akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen" zu erbringen sind. Das BSG hat zum Begriff der akuten Erkrankung ausgeführt:

BSG, Urteil vom 29. Februar 2024 – B 8 AY 3/23 R – [...] unter den Begriff der "akuten Erkrankung", wie er im medizinischen Sprachgebrauch verwendet wird, [fällt] ein plötzlich und unvermittelt auftretender, schnell und heftig verlaufender Zustand, im Gegensatz zu einem chronischen Zustand, der sich langsam entwickelt oder langsam verläuft [...] Über den Wortlaut hinaus, wie er im medizinischen Sprachgebrauch verwendet wird, erfasst eine "akute Erkrankung" aber weitere Fälle. [...] Der Begriff der von § 4 Abs 1 Satz 1 AsylbLG erfassten akuten Erkrankung ist deshalb dahin auszulegen, dass unter eine "akute Erkrankung" bei bestehenden (ggf chronischen) Erkrankungen auch ein laufender Behandlungsbedarf oder ein neu eingetretener Behandlungsbedarf wegen einer Verschlimmerung fällt, der eine Behandlung aus medizinischen Gründen unaufschiebbar werden lässt. Damit bei ggf langfristig behandlungsbedürftigen Erkrankungen der vorgesehene Leistungsumfang das verfassungsrechtlich Gebotene erreicht, dieses Minimum aber nicht übersteigt, ist zu fordern, dass über die Behandlungsbedürftigkeit hinaus eine Behandlungsdringlichkeit vorliegt [...]. Eine akute Erkrankung, die unaufschiebbar der Behandlung bedarf, ist andererseits nicht erst dann anzunehmen, wenn ein Notfall vorliegt [...]. Unaufschiebbar ist eine Behandlung dann, wenn der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder die Behandlung erforderlich ist, um eine unumkehrbare oder akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ein kritisches Stadium zu verhindern [...]. Auf Grundlage dieser Feststellungen wurde der Kläger wegen Verdachts auf eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F32.2) sowie einer PTBS (PTBS -ICD-10 F 43.1) stationär aufgenommen und im Folgenden bis zur Stabilisierung und Wiederherstellung der Alltagstauglichkeit behandelt. [...] Auf Grundlage der bindenden Feststellungen des LSG war auch der anschließende ca. vierwöchige Verbleib des Klägers in der Klinik erforderlich und jedenfalls zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich. Die Fortführung der stationären Behandlung bei unklarer Bewertung der Verhältnisse war danach indiziert, um eine mögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes und/oder eine Eigengefährdung außerhalb dieses Rahmens zu verhindern [...] Die vom Krankenhaus gegenüber dem Kläger (als Selbstzahler) auf Grundlage des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz) geltend gemachten Kosten sind schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden, wovon auch die Beteiligten ausgehen.

Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts dürfte abgeleitet werden können, dass auch psychisch erkrankte Versicherte, deren Krankenversicherung wegen Beitragsschulden von der Krankenkasse ruhend gestellt wurde, einen Rechtsanspruch auf Kostenübernahme für eine (ggf. mehrwöchige) stationäre Krankenhausbehandlung in einer psychiatrischen Klinik haben können.

ACHTUNG: Ein wirksames Ruhend-Stellen der Krankenversicherung wegen Beitragsschulden setzt nach einem weiteren Urteil des Bundessozialgerichts vom 08. März 2016 – B 1 KR 31/15 R) eine vorherige Prüfung der Krankenkasse voraus, dass die oder der Versicherte nicht "hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches sind oder werden". Das bedeutet ganz praktisch, dass die Krankenkasse vor Erlass eines sog. Ruhensbescheides erst einmal durch entsprechende Anschreiben an die Betroffenen prüfen muss, ob deren Einkommens- und Vermögenslage so schlecht ist, dass diese Grundsicherung für Arbeitssuchende ("Hartz 4", "Bürgergeld") oder Grundsicherung bei Erwerbsminderung oder im Grundsicherung im Alter ("Sozialhilfe") beziehen könnten. Häufig führen die Krankenkassen vor Erlass eines Ruhensbescheides eine solche Prüfung wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwands nicht durch - dies hat dann zur Folge, dass das Ruhen der Leistungen kraft Gesetzes nicht eintritt, also die oder der Versicherte trotz Erhalt des (unwirksamen) Ruhensbescheides rechtlich regulär krankenversichert ist.


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Veröffentlicht am

27.11.2025

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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