Das Sozialgericht München hat in einem ganz aktuellen und beachtenswerten Urteil die Rechte von behinderten Kindern gestärkt. Es hat einem schwerstbehinderten Kind zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft einen Anspruch auf Versorgung mit einem behindertengerechten Pkw gegen den Träger der Eingliederungshilfe zugesprochen.

Der 2002 geborene Kläger ist mit einer schweren Fehlbildung der unteren Körperhälfte auf die Welt gekommen, durch die er schwerstpflegebedürftig und mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 schwerbehindert ist. Er wird, so prognostiziert ein Gutachten seines Kinderarztes, dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen sein und bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens auf Hilfe angewiesen sein.

Im Jahr 2010 stellten die Eltern des Klägers für diesen den Antrag auf Hilfen zur Beschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeuges beim zuständigen Träger der Eingliederungshilfe. Das der Familie zur Verfügung stehende Fahrzeug, ein Ford Galaxy Baujahr 1999, sei nicht mehr verkehrssicher und werde voraussichtlich nicht mehr durch den TÜV kommen. Mit Bescheid lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, solche Hilfen würden grundsätzlich nur dann geleistet, wenn sie zur Eingliederung in das Arbeitsleben erforderlich seien. Andere Zwecke könnten eine solche Leistung allenfalls dann rechtfertigen, wenn es sich um vergleichbar gewichtige Gründe handle, welche eine ständige, das heißt tägliche oder fast tägliche Benutzung eines Fahrzeugs erforderten. Beides sei im Falle des Klägers nicht gegeben.

Hiergegen richtete sich der erfolglose Widerspruch und schließlich die Klage vor dem zuständigen Sozialgericht München. Diese hatte vollumfänglich Erfolg.

Gemäß § 53 Absatz 1 Sozialgesetzbuch 12, so das Gericht, erhielten Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Leistungen der Eingliederungshilfe seien dabei auch Hilfen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs

Nach Auffassung des Gerichts seien die entsprechenden Voraussetzungen bereits dann erfüllt, wenn der behinderte Mensch nur mit Hilfe seines Kraftfahrzeugs den Nahbereich seiner Wohnung verlassen, sich also außerhalb der Wohnung (über längere Strecken) bewegen kann. Zudem müsste sich dieses Bedürfnis regelmäßig stellen. Dies sei hier der Fall: Nach der Stellungnahme des behandelnden Kinderarztes sei der Kläger aufgrund seiner Behinderung auf ein rollstuhlgerechtes Kraftfahrzeug angewiesen, um an den regelmäßigen Aktivitäten der Familie teilnehmen und den Nahbereich der elterlichen Wohnung verlassen zu können, zumal an seinem Wohnort praktisch keine Busse verkehren.

Zudem trat das Gerichten einigen Einwänden der Behörde in erheblichem Maße entgegen. So handele es sich insbesondere um keinen Bedarf, der auch bei anderen, gleichaltrigen Kindern anfalle, da das Kind nur mit einem behindertengerechten Fahrzeug mitfahren könne, um so an die entsprechenden Ort zu gelangen.

Weiterhin sei es für eine regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeugs entgegen der Ansicht des Beklagten nicht erforderlich, dass diese ähnlich häufig wie im Falle der Teilnahme am Arbeitsleben anfalle. Zudem könne der Kläger nicht darauf verwiesen werden, es möge einen Fahrdienst in Anspruch nehmen. Gerade dies würde es dem Kläger unmöglich machen, aktiv am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Vielmehr würde er permanent auf seine behinderungsbedingten Einschränkungen zurückgeworfen.

Nach alledem war der Anspruch dem Kläger zuzusprechen.

Hinweis: Das Urteil ist uneingeschränkt richtig. Es darf erwartet werden, dass das Bayerische Landessozialgericht, vor dem die Behörde Berufung eingelegt hat, das Urteil in seiner jetzigen Form bestätigen wird. Es stärkt im richtigen Umfang und mit der nötigen Klarheit die Rechte von schwerstbehinderten Kindern und ihren Eltern. Eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft muss einem schwerstbehinderten Kind staatlicherseits so gut es geht ermöglicht werden. Kontaktieren Sie mich bei Fragen hierzu gerne.

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Kommentare

H.
01.03.2017, 15:17 Uhr

Wie ist denn die Berufung vor dem Landessozialgericht ausgegangen?

Rechtsanwalt David A. KöperRA Köper
16.03.2017, 16:53 Uhr

Sehr geehrter Herr H.,

zum Aktenzeichen des Bayerischen Landessozialgerichts L 8 SO 81/12 finde ich derzeit in den Datenbanken nichts, der Ausgang wäre beim Bayerischen Landessozialgericht schriftlich zu erfragen (evtl. dort kostenpflichtig), möglicherweise ist beim LSG keine Gerichtsentscheidung mehr ergangen, z.B. wegen einer Berufungsrücknahme oder eines Vergleichs, dies ist so nicht ersichtlich.


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Veröffentlicht am

28.09.2012

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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Der Artikel spiegelt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Die Rechtslage kann sich jederzeit ändern.

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