Wie der Bundesgerichtshof in Karlsruhe in einem aktuellen Verfahren entschieden hat, darf Gehbehinderten (mit festgestelltem Merkzeichen "G") grundsätzlich das Auto nicht gepfändet werden.

Ein Gläubiger betrieb gegen einen Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde. Der Schuldner war gehbehindert und sein Grad der Behinderung (GdB) war mit 70 festgestellt. Darüber hinaus war ihm das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) zuerkannt. Der Gläubiger beauftragte den Gerichtsvollzieher mit der Pfändung des Pkw des Schuldners. Nachdem dieser eine Pfändung zunächst mit Verweis auf die Behinderung abgelehnt hatte, erklärte das Amtsgericht die Pfändung für zulässig. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Gläubigers hatten schließlich vor dem Bundesgerichtshof Erfolg.

Der Bundesgerichtshof führte dabei aus, die Pfändungsverbote des § 811 Absatz 1 Zivilprozessordnung dienten dem Schutz des Schuldners aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse und beschränkten die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen mit Hilfe staatlicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Sie seien Ausfluss der in Artikel 1 Grundgesetz und Artikel 2 Grundgesetz garantierten Menschenwürde bzw. allgemeinen Handlungsfreiheit und enthielten eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips. In diesem Rahmen sei bei der Auslegung des Pfändungsverbots des § 811 Absatz 1 Nr. 12 Zivilprozessordnung das Verständnis über die soziale Stellung behinderter Menschen zu berücksichtigen. Aus den Gesetzen zu ihrer Gleichstellung, namentlich aus dem Sozialgesetzbuch 9, ergebe sich, dass behinderte Menschen in das gesellschaftliche Leben integriert und die mit ihrer Behinderung verbundenen Nachteile verringert werden sollen, soweit dies durch medizinische und technische Maßnahmen möglich ist.

Vor diesem Hintergrund ist eine Pfändung vor allem dann ausgeschlossen, wenn der Pkw dem Betroffenen hilft, seine Gehbehinderung zumindest teilweise auszugleichen und seine Eingliederung in das gesellschaftlich-soziale Leben zu erleichtern oder zu befördern.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.06.2011.


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Veröffentlicht am

17.12.2011

Autor

Rechtsanwalt David Andreas Köper aus Hamburg Rechtsanwalt David Andreas Köper

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