Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass eine rückwirkende Beendigung der Familienversicherung von Kindern wegen zu hohen Einkommens der Eltern erst ab dem Folgemonat des nachteiligen Einkommenssteuerbescheides möglich ist.
Das Gericht führte dabei aus:
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08. Mai 2019 – L 9 KR 422/17: Eine vorausschauende Betrachtung anhand des zeitlich letzten Einkommenssteuerbescheides ist auch bei einer rückwirkenden Feststellung der Voraussetzungen der Familienversicherung hinsichtlich des Einkommens geboten. Einkommenssteuerbescheide werden berücksichtigt, wenn sie zu Beginn des maßgebenden Zeitraumes ergangen sind und die vorausschauende Betrachtung tragen können. Sind sie erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen, können sie die gebotene Prognoseentscheidung der Krankenkasse nicht tragen [...] Der Einkommensteuerbescheid vom ... ist für die Bestimmung des Gesamteinkommens ab Beginn des Monats nach seinem Erlass, damit für die Zeit ab dem ...., maßgebend. Er ist nicht deshalb unbeachtlich, weil der Ehegatte ihn zunächst angefochten hat, denn er hat seinen Einspruch zurückgenommen und dem Bescheid damit Bestandskraft beschert. Der Einspruch entfiel rückwirkend. Die Maßgeblichkeit der Feststellungen des Steuerbescheids ab dem folgenden Kalendermonat nach seinem Erlass ist sachgerecht, weil sich Versicherte ab diesem Zeitpunkt für die Zukunft darauf einstellen können, z.B. eine anderweitige Absicherung wählen, wenn die Familienversicherung entfällt. Vertrauensschutzgesichtspunkte oder die Sicherstellung eines lückenlosen Versicherungsschutzes stehen nicht entgegen.
Dies bedeutet für Sie, dass Sie bei einer rückwirkenden Aufhebung der Familienversicherung und Beitragsnachforderung auch immer schauen sollten, wann der Einkommensteuerbescheid ergangen ist. Wird z.B. für ein Kalenderjahr zwar ein zu hohes, d.h. über der Jahresarbeitsentgeltgrenze, liegendes Einkommen ausgewiesen, datiert der Einkommensteuerbescheid jedoch z.B. erst aus November, kann die Familienversicherung erst zum Dezember und nicht schon zum Januar des betreffenden Jahres beendet und entsprechend auch erst ab Dezember Beiträge für die Kinder verlangt werden.
Für Rechtsanwälte: In dem o.g. Urteil erläutert das Gericht auch, warum es in solchen Fällen auf "Vertrauensschutz" nicht ankommt. Die gesetzliche Krankenversicherung kann im Rahmen der Verjährung (4 Jahre) ohne Weiteres rückwirkend Beiträge nacherheben, da die Familienversicherung "kraft Gesetzes" beginnt oder endet, ohne dass es zu ihrer Beendigung der Aufhebung eines Bescheides bedürfte. Die allgemeinen (sozial-)verwaltungsrechtlichen Regelungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten kommen daher hier nicht zur Anwendung.
Die Familienversicherung tritt kraft Gesetzes ein und endet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Der Bescheid über die Beendigung hat daher zwar nur deklaratorische Funktion. Der Bescheid der Beklagten vom ... entfaltete, da er die Beendigung bereits zum ... feststellte, insoweit zwar Rückwirkung. Sie hat das Bestehen der Familienversicherung den Klägerinnen gegenüber zuvor nicht mit einem (begünstigenden) Bescheid festgestellt. Es bedarf daher weder einer expliziten Aufhebungsentscheidung eines früheren Bescheides über die Familienversicherung noch einer Prüfung der Rechtsgrundlagen der §§ 45 ff. Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X), die eine solche rückwirkende Aufhebung nur unter engen Voraussetzungen und Berücksichtigung von Vertrauensschutz erlauben.
Werden im Zuge der Beitragsnacherhebung noch Säumniszuschläge festgesetzt, kann man gegen diese allerdings durchaus häufig erfolgreich vorgehen.
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Veröffentlicht am
06.02.2020
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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