Das Landgericht Kiel hat in einer beachtenswerten Entscheidung dargelegt, dass das Rücktrittsrecht eines privaten Krankenversicherers selbst bei grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht seit der Einführung des sog. „Basistarifs“ ausgeschlossen ist.
In dem entschiedenen Fall ging es um eine Klägerin, die zum 01.01.2009 einen privaten Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen hatte. In dem Versicherungsantrag wurde die Klägerin unter anderem gefragt, ob in den letzten 3 Jahren - und falls ja, welche - Beschwerden, Krankheiten, Anomalien und/oder Unfallfolgen vorgelegen hätten. Außerdem wurde für den gleichen Zeitraum gefragt, ob Behandlungen oder Untersuchungen von Ärzten oder Angehörigen anderer Heilberufe vorgenommen worden seien. Die Klägerin beantwortete diese Fragen, indem sie eine selbst angefertigte Liste ihrer Erkrankungen und einen Brief ihrer Ärztin einreichte.
Im Mai 2011 führte die Krankenversicherung eine Leistungsprüfung fest und stellte dabei fest, dass die Klägerin im Jahr 2006 nach einem Verdrehtrauma am Knie behandelt worden war. Dauerhafte Schädigungen verblieben jedoch nicht. Außerdem machte die Krankenversicherung geltend, bei der Klägerin seien ein Müdigkeitssyndrom, unklare Bauchschmerzen und ein unklarer Abdomen diagnostiziert worden.
Weiter habe die Klägerin auch eine Cardiainsuffizienz nicht angegeben. Außerdem auch eine Dysphagie, eine chronische Sinusitis, eine Nasenseptumdeviation, eine periorale Dermatitis, eine unklare Belastungsdyspnoe sowie eine Colon irritabile. Schließlich seien auch die Kniebeschwerden nicht angegeben worden.
Wegen all dieser und weiterer angeblich grob fahrlässig nicht angegebener Erkrankungen erklärte die Krankenversicherung den Rücktritt vom Krankenversicherungsvertrag und verweigerte weitere Leistungen.
In dem anschließenden Klageverfahren wehrte sich die Klägerin gegen den Rücktritt des Krankenversicherers und erläuterte im Einzelnen die Erkrankungen.
Sie machte u.a. geltend, ein Teil der Diagnosen sei ihr überhaupt nicht bekannt gewesen. Andere Erkrankungen habe sie unter einer anderen Bezeichnung angegeben. Eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung habe sie nicht, sie habe lediglich unter einer einfachen Erkältung gelitten, zu der Nasentropfen verschrieben worden seien. Die Nasenseptumdeviation sei auf einen Fahrradunfall aus dem Jahr 2005 zurückzuführen. Andere, von der Beklagten angeführten Erkrankungen seien flüchtig, ungefährlich und nicht pathologisch. Bei der Colon irritabile habe es sich beispielsweise nur um eine vorübergehende Verdauungsstörung gehandelt. Die Kniebeschwerden seien auf einen Fahrradunfall zurückzuführen, den sie im Versicherungsantrag angegeben hätte. Andere Kniebeschwerden vom Tanzen habe sie vergessen, weil sie beschwerdefrei und nicht krankgeschrieben gewesen sei. Auch eine Allergie sei ihr nicht bekannt, sie sei nie wegen Allergie behandelt worden, sondern lediglich ohne Befund untersucht worden. Eine Jochbeinfraktur habe sie im Versicherungsantrag angegeben, eine Handgelenkfraktur habe nie vorgelegen. Das Müdigkeitssyndrom und die unklare Bauchschmerzen hätte nicht angegeben werden müssen, weil diese mehr als drei Jahre vor Vertragsschluss diagnostiziert worden seien.
Das Landgericht Kiel gab der Klage statt und stellte fest, dass die Krankenversicherung nicht durch Rücktritt beendet worden sei. Dabei legte das Gericht im Einzelnen dar, dass bei zahlreichen der Erkrankungen und Verletzungen eine Anzeigepflichtverletzung im rechtlichen Sinne nicht vorliege. Unter anderem führte das Gericht aus, die Nichtangabe der Nasenseptumdeviation stelle keine Anzeigepflichtverletzung, weil eine solche Nasenscheidewandverkrümmung entweder angeboren oder durch eine Verletzung bedingt sei. In dem vorliegenden Fall habe die Klägerin ihren Fahrradunfall aber angegeben. Weiter führte das Gericht unter anderem aus, dass hinsichtlich der angeblich verschwiegenen chronischen Sinusitis die Klägerin gegenüber dem Arzt lediglich von Nasenkribbeln und Niesreiz gesprochen habe. Derartige Bagatellbeschwerden müssten aber nicht angegeben werden. Weitere Erkrankungen, etwa die unklaren Bauchbeschwerden, die periorale Dermatitis (Bläschenausschlag um den Mund) und die unklare Belastungsdyspnoe (Atembeschwerden) seine nicht gefahrerheblich. Es handele sich um vergleichsweise unbedeutende Diagnosen, die schnell in Vergessenheit gerieten.
Insgesamt sei der Klägerin kein Vorsatz und keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Die Klägerin habe all die nicht genannten Krankheiten und Beschwerden als Bagatellen einordnen dürfen, da sie deswegen jeweils nur einmal den Arzt aufgesucht habe und keine Therapien gefolgt seien. Die meisten Beschwerden hätten bei Antragstellung auch schon über zwei Jahre zurück gelegen.
Aber selbst bei einer grob fahrlässigen Verletzung der Anzeigepflicht sei das Rücktrittsrecht ausgeschlossen, wenn die Beklagte Krankenversicherung zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte. Seit Einführung der gesetzlichen Verpflichtung der Krankenversicherer, in jedem Fall Versicherung im Basistarif zu gewähren (sog. Kontrahierungszwang) sei ein Rücktritt wegen grob fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung grundsätzlich ausgeschlossen.
Kommentar: Die von den Versicherern ohnehin (mindestens) sehr ungeliebte gesetzliche Einführung des sog. Basistarifs hebelt die gesetzlichen Kündigungs- und Rücktrittsrechte der Krankenversicherer wegen grob fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung aus.
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Veröffentlicht am
07.08.2013
Autor
Rechtsanwalt David Andreas Köper
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19.08.2014, 15:45 Uhr
Hallo, kann man das Urteil irgendwo als Volltext bekommen, bzw. das Aktenzeichen dazu? Mich wundert es, dass man sonst nirgends davon liest, denn der Satz "Seit Einführung der gesetzlichen Verpflichtung der Krankenversicherer, in jedem Fall Versicherung im Basistarif zu gewähren (sog. Kontrahierungszwang) sei ein Rücktritt wegen grob fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung grundsätzlich ausgeschlossen." kommt ja einer Revolution gleich und hebelt im Prinzip fast alle Konsequenzen (außer Arglist) bei Verstoß gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht aus.
09.09.2014, 17:52 Uhr
Nachtrag: Das Landgericht Dortmund hat abweichend im Juli 2014 entschieden, dass der Kontrahierungszwang des Krankenversicherers im Basistarif bei der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten das Rücktrittsrecht n i c h t ausschließt. Eine obergerichtliche Entscheidung (Oberlandesgericht) zu dieser Frage ist derzeit noch nicht bekannt.